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Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)

Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)

Titel: Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. G. Stoll
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roter Uniform, ob sie den Tee jetzt gleich einzunehmen gedenke. Kurz stutzte sie. Um nicht aufzufallen, nickte sie. Geistesgegenwärtig bat sie ihn, ihr zu zeigen, in welcher Richtung das Badezimmer lag.
    Dem großzügigen Waschbecken und der dazugehörigen Ablage nach fand hier sicher auch die Morgentoilette statt. An der Wand hing ein Schild, sparsam mit dem Wasser umzugehen, da nur eine begrenzte Menge zur Verfügung stünde. Nach dem Toilettenbesuch nutzte sie die Gelegenheit und überprüfte, wie schlimm Madame sie zugerichtet hatte. Ein in Mullbinden gewickelter Fremder starrte sie an, was sich kaum besserte, als sie Kappe und Brille ablegte.
    Das rechte Auge schillerte in allen Regenbogenfarben. Sie schob den Verband weg. Der Bluterguss auf dem Wangenknochen erklärte, weshalb die Stelle beim Betasten derart schmerzte. Dazu die schorfigen, zerbissenen Lippen. Kate seufzte. Vermutlich würde sie die Geschichte mit dem Droschkenunfall etliche weitere Male bemühen müssen, um die Verletzungen zu erklären.
    Die wunden Bereiche mit kaltem Wasser zu betupfen, half ein wenig. Schließlich kehrte sie in den Salon zurück. Der Plan, schnell in ihr Zimmer zu verschwinden, ließ sich nicht verwirklichen, denn sie lief ausgerechnet dem Mann in die Arme, der den Tee servierte. Bevor sie nachdenken konnte, fand sie sich in einem der ausladenden Sessel am mittleren Fenster wieder, eine feine Porzellantasse in den leicht zitternden Fingern. Vorsichtig nippte sie am starken, süßen Tee. Draußen waren weiterhin Arbeiter damit beschäftigt, Kisten und Fässer zu verladen. Den Gesprächen um sich herum entnahm sie, dass es bis zum Abflug noch fast eine Stunde dauerte. Ein Bediensteter ging von Tisch zu Tisch und bot Teebrötchen an, die noch warm waren. Die Butterklümpchen schmolzen auf ihnen. Kate nahm eines und ließ es sich auf der Zunge zergehen. Köstlich.
    Bedient zu werden wie Madame, fühlte sich seltsam an.
    Sie zog den Ausweis hervor und legte ihn gemeinsam mit dem Flugticket auf den Tisch. Beides hatte ein Vermögen gekostet. Warum nur hatte Gustav all das Geld für sie ausgegeben, wenn er sie doch nicht mochte? Madame würde ihm die Hölle bereiten.
    Sie steckte die Papiere wieder ein, gerade rechtzeitig, bevor der Steward ihr eine zweite Tasse Tee eingoss. Sie trank in kleinen Schlucken und rieb die plötzlich brennenden Augen.
    Ungefragt holte sie die Erinnerung an die Gefangene im Haus ein.
    Madames Gerede über Elise, Gustavs Beharren, den Plan nicht umzusetzen. All diese seltsamen Äußerungen, die Kate damals nicht verstanden hatte, als sie im Geheimgang die Gespräche belauschte. Alles ergab einen Sinn, wenn die Entführte eben diese Elise war. Warum aber sollte ihre Herrin das eigene Patenkind verschleppen lassen?
    Kate schloss die Augen.
Denk nicht darüber nach
, befahl sie sich.
Du fliegst nach Neuanglia.
    Dort würde sie niemandem mehr gehören und gehorchen.
    Nur durfte sie jetzt keinen Fehler machen, durfte nicht auffallen.
    Erzählte sie jemandem von Elise, redete Madame sich irgendwie aus allem heraus. Im Anschluss landete Kate bestimmt wieder bei ihrer rechtmäßigen Herrin und starb im Loch. Selbst Gustav konnte sie dann nicht retten.
    Der Herr am Nachbartisch fragte einen der Flugmatrosen, wie lange es bis zum Abflug dauere.
    »Mindestens zwei Stunden«, bekam er zur Antwort, »da wir auf ein verspätetes Flugschiff und die umsteigenden Passagiere warten müssen.«
    Kate lutschte an der schmerzenden Unterlippe. Der Polizist. Sie könnte ihn aufsuchen. Ihm sagen, sie vermute eine Gefangene in Madames Haus. Dafür sollte sie nicht viel Zeit brauchen, oder? Wenn sie ihm deutlich machte, dass ihr Flieger wartete, ließ er sie bestimmt schnell gehen. Andererseits, sie durfte niemanden auf sich aufmerksam machen. Bemerkte jemand, dass sie kein junger Mann war und einen gefälschten Ausweis bei sich trug, versprach das Riesenprobleme. Es war klüger, den Mund zu halten. Ja. Kein Risiko eingehen.
    Eine Stimme meldete sich in ihrem Kopf und quälte sie. »Wenn du ihr nicht hilfst, wer sonst? Du weißt, wozu Rufus fähig ist, hast es gesehen und am eigenen Leib erfahren.«
    »Ich konnte nicht umhin, vorhin zu hören, dass Sie einen Droschkenunfall hatten. Möchten der junge Herr sich vielleicht zu uns gesellen und mit uns plaudern?«
    Kate schreckte zusammen. Die ältere Frau, die sie angesprochen hatte, wirkte, als würde sie keine Ruhe geben, bis Kate ihr haarklein alles über den angeblichen Vorfall

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