Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
tropfte und Gustav mit ihr schimpfte.
Der eisige Blick verriet seine Verärgerung.
»Du hast mich meine Ersparnisse gekostet. Nun schweig. Kein Wort mehr darüber, sonst bringe ich dich zu ihr zurück.«
Brüsk wandte er sich von ihr ab, als wollte er ihr auf diese Weise zusätzlich klarmachen, dass er das Gespräch für beendet erklärte. Gustav machte keine leeren Drohungen und scherzte nie.
Stumm saß sie da, der Wagen holperte über die Straßen. Sie sah hinaus auf Häuser und Geschäfte. Würde ihre Hand nicht so pochen, glaubte sie, sich alles einzubilden.
»Suche dir Arbeit in einer Apotheke oder einer pharmazeutischen Fabrik. Verheimliche, dass du eine Frau bist, wenn sie nur Männer einstellen. Hier.«
Gustavs Worte schreckten sie auf. Überrumpelt ergriff sie die Geldbörse, die er ihr hinhielt.
»Das Geld sollte für die erste Zeit reichen. Pass gut darauf auf. Trage es stets bei dir und lass niemanden sehen, wie viel du besitzt.«
Er klang nicht mehr verärgert. Eher, als sorge er sich um ihr Wohlergehen.
Sie nickte und flüsterte: »Danke.«
Sofort verwandelte er sich wieder in den ihr bekannten Gustav.
»Wärst du folgsam gewesen, hättest du uns all das erspart«, rügte er sie. »Ich hätte strenger mit dir sein sollen.«
Der Wagen hielt an. Gustav wartete, bis der Fahrer die Tür öffnete, und stieg dann aus. Kate rutschte vom Sitz, folgte ihm und unterdrückte dabei ein Jammern, weil jede Bewegung schmerzte.
20. Gesucht wird ...
Das Bauwerk vor ihr kannte sie von Zeichnungen und Fotos. Waterlons Abfluggebäude. Die gigantischen Säulen und Spitzfenster kennzeichneten es als weithin berühmtes Wahrzeichen der Stadt. Dahinter lag das Flugfeld, auf dem die aus aller Welt kommenden Luftschiffe andockten oder auf die Abreise warteten. Seit Jahren träumte Kate davon, diesen Ort mit eigenen Augen zu sehen.
Gustav, der einige Schritte vorausgelaufen war, rief ihr barsch zu, mit dem Trödeln aufzuhören. Kate löste sich von dem prächtigen Anblick und eilte zu ihm. Als sie eine Entschuldigung murmelte, funkelte er sie nur an und presste die Lippen aufeinander. Schuldbewusst senkte sie den Kopf. Sie durfte ihn nicht verärgern, sonst machte er die Ankündigung wahr, sie zu Madame zurückzubringen.
Sie folgte ihm in Richtung des Eingangsportals, das von den Ausmaßen eher wie für Riesen gebaut wirkte.
Unterwegs passierten sie einen Polizisten, der in ein Gespräch mit einem Herrn vertieft war. Aufgebracht fuchtelte dieser mit dem Gehstock in der Luft herum und schimpfte: »Entführung! Darauf sollte die Todesstrafe stehen!«
»Ganz meine Meinung«, stimmte der Wachmeister zu. »Hauptsache, wir finden die junge Lady.«
Kate befürchtete, angehalten zu werden, doch beachtete er sie nicht.
Wäre sie nicht so aufgeregt gewesen, hätte das Innere der Abflughalle sie mit den im Schachbrettmuster getäfelten Wänden und dem kunstvoll gelegten Bodenmosaik noch weit mehr begeistert. Sie blickte zur Decke empor. Die auf marmornen Säulen thronende Kuppel sah im Licht der vielen Lampen aus, als wäre sie aus purem Feuer. Wahrzeichen der modernen Technik verzierten die einzelnen Segmente. Unterseeboot, Dampfschiff, Flugschiff und eine der neuen Kriegsmaschinen, mit denen man Raketen über gewaltige Entfernungen abzufeuern vermochte.
»Warte hier auf mich«, riss Gustav sie unsanft aus ihrer Betrachtung. »Starr nicht wie ein Schwachsinniger.«
Er ließ sie stehen und sprach einen der Flughafenangestellten an. Der Mann erwiderte etwas, nahm ihm die Reisetasche ab und deutete auf einen Abfertigungsschalter. Offensichtlich musste Gustav dort ein Papier ausfüllen, was dauerte. Kate beobachtete ihn dabei, bis eine schrille Stimme sie ablenkte.
»Ob das arme Kind noch lebt?«
Ein älteres Paar stand neben ihr. Kate verstand nicht, worauf die Dame mit den Fuchspelzen anspielte. Dem dazugehörigen Herrn ging es dem Gesichtsausdruck nach nicht anders.
Die Unbekannte schnaubte sichtlich ungehalten. »Die entführte Tochter des Barons, Charles. Sei nicht immer so schwer von Begriff. Da hängt doch ihr Bild.«
Jetzt bemerkte sie Kate, stutzte kurz und musterte neugierig die Verbände an Hand und Gesicht. Kate zwang sich zu einem höflichen Nicken und drehte sich um.
Bloß keine Aufmerksamkeit erregen!
Ihr Blick fiel auf ein Plakat mit dem Foto eines jungen Mädchens.
Entführung!
Hohe Belohnung für Informationen zur Auffindung
stand darunter
.
Kate las weiter:
Vermisst wird die fünfzehnjährige
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