Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
Tochter des ehrenwerten Barons Standfort. Lady Elise wurde auf einem Ausflug mit ihrer Patentante verschleppt.
Kate wollte die Dame befragen, ob ihr mehr über den Fall bekannt sei, doch waren sie und ihr Mann bereits weitergegangen.
Kate fuhr mit der unverletzten Hand über das Bild der Entführten. Elise sah ihr ähnlich. Sehr ähnlich. Diese Erkenntnis schockierte sie fast noch mehr als das Verbrechen.
War Kate wohlmöglich ein Bastardkind des Barons? Hatte Madame sie aus diesem Grund in ihr Haus geholt und wie eine Gefangene weggesperrt? Vielleicht hatte der Baron sie sogar darum gebeten, um den Beweis seiner Untreue verschwinden zu lassen.
Schwarze Flecken tanzten vor ihren Augen. Sie taumelte gegen die Wand, suchte nach etwas, an dem sie sich festhalten konnte.
»Du hättest weniger trinken sollen, Neffe, dann wäre der dumme Unfall nicht geschehen. Kein Wunder, dass du dich jetzt überall abstützen musst.«
Gustav stand vor ihr. Seine Stimme klang amüsiert, doch sein Gesichtsausdruck sagte etwas anderes. Erschreckt bemerkte sie die neugierigen Blicke, die sie auf sich gezogen hatte. Sie war froh, die Kappe ein wenig tiefer ins Gesicht ziehen zu können.
Leise setzte er hinzu: »Keinerlei Dummheiten, kein Wort über die Entführung. Du folgst mir stumm, antwortest auf Fragen nur, wenn ich dir ein Zeichen gebe.«
Kate verwarf alle Überlegungen, ihn auf das gesuchte junge Mädchen oder ihre eigene Herkunft anzusprechen. Falls er das Versprechen, sie nach Neuanglia fliehen zu lassen, zurückzog, endete sie wieder bei Madame. Sie machte sich keine Illusionen. Selbst für den Fall, dass er die Frau dazu brachte, ihr Leben zu verschonen, erwartete sie die Hölle.
Sie deutete ein Nicken an, was er mit einem Heben der Augenbrauen quittierte.
Mit gesenktem Kopf folgte sie ihm, den Blick fest auf den Boden geheftet.
Der Uniformierte am Ausgang zum Flugfeld schaute nur kurz auf das Ticket und nickte, als Gustav bat, seinen verletzten Neffen an Bord bringen zu dürfen.
»Sieht übel aus«, entfuhr seinem danebenstehenden Kollegen. »Was ist mit ihm geschehen, Sir?«, fragte er neugierig.
Gustav grunzte und antwortete mit einem harten Akzent: »Nun, Waterlons Straßen mit ihren rücksichtslosen Fahrern werden immer gefährlicher. Mein Neffe Harold schätzt sich glücklich, die Reise überhaupt antreten zu können.«
Unter den prüfenden Blicken des Mannes versuchte Kate, männlich zu wirken. Vor Panik verschluckte sie sich und hustete los. Die durch Madames Schläge geprellten Rippen taten teuflisch weh. Unwillkürlich krümmte sie sich zusammen. Gustav legte ihr die Hand auf die Schulter, als wollte er ihr Mut zusprechen.
»Mein Neffe sollte sich möglichst bald ausruhen.«
Mit sanftem Druck schob er sie an den Luftmatrosen vorbei. Diese riefen einem in der Nähe wartenden Burschen zu, die Herrschaften zum Flieger nach Easton zu führen. Der junge Mann kam angehastet, warf Kate einen neugierigen Blick zu und machte dann einen Diener. Ein sommersprossiger Kerl, dem der Schalk ins Gesicht geschrieben stand.
»Den Flieger nach Easton kann man nicht übersehen, meine Herren. Ein wahres Prachtstück«, versprach er mit einem Augenzwinkern. Kate folgte ihm an Gustavs Seite. Bei jedem Schritt erwartete sie, dass jemand sie festhielt oder herausschrie, sie besäße nicht das Recht, ihr Gefängnis hinter sich zu lassen.
»Master Gustav, ich habe solche Angst«, flüsterte sie.
Sein Griff verstärkte sich. »Gleichmäßig ein- und ausatmen«, knurrte er.
Tatsächlich half das, wobei der beeindruckende Anblick des Flugfelds sie zusätzlich ablenkte. Gefrorene Nebelschwaden waberten in ständig wechselnden Formationen über den Boden. Sie stammten von gewaltigen Dampfmaschinen, deren mehr als mannsgroße Pleuelstangen sich hin und her bewegten wie in einem gleichförmigen Tanz. Haushohe Wasserstofftanks lagerten am Rand des Flugfelds. Das Treibstofflager auf der entgegengesetzten Seite hielt einen sicheren Abstand zu dem explosiven Gas ein. Was jedoch Kates Blick magisch anzog, waren die Flugschiffe in allen Größen, Formen und Farben. Scheinbar mühelos schwebten sie in der Luft. Die bunten Aufschriften auf den Hüllen verrieten, woher sie kamen. Zum Teil aus so fernen Ländern, dass sie die Schriftzeichen nicht einmal der zugehörigen Sprache zuzuordnen vermochte. Mitzuerleben, wie von diesem Flugplatz Schiffe in die ganze Welt aufstiegen, fühlte sich so völlig anders an, wie davon zu lesen.
Nicht weit vor
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