Tolstoi, A. K.
meiner, so dass meine Arterien schlugen und während ich mich vergebens immer mehr darum bemühte, geistesgegenwärtig zu bleiben, hörte ich hinter mir eine Stimme, die mir zurief:
„Halt, halt, mein Freund! Ich liebe dich mehr als meine Seele, ich liebe dich mehr als mein Heil! Halt, halt, dein Blut ist mein!“
Zur gleichen Zeit spürte ich einen kalten Atem mein Ohr streicheln und ich bemerkte, wie Sdenka auf den Rücken des Pferdes sprang.
„Mein Herz, meine Seele!“, sagte sie mir. „Ich sehe nur dich, ich fühle nur dich, ich bin meiner nicht mehr Herr, ich gehorche einer höheren Macht, verzeih mir mein Freund, verzeih mir!“
Sie warf ihre Arme um mich und versuchte mich vom Pferd zu reißen und mir in den Hals zu beißen. Ein schrecklicher Kampf fand zwischen uns statt. Während langer Zeit konnte ich mich nur gerade so verteidigen, aber schließlich gelang es mir, mit einer Hand Sdenkas Gurt und mit der anderen ihre Zöpfe festzuhalten, und mich mit den Füßen in den Steigbügeln festhaltend, warf ich sie zu Boden!
In diesem Moment verließen mich meine Kräfte und ich verfiel dem Wahn. Tausend irre und schreckliche Bilder verfolgten mich höhnend. Zuerst gingen Georges und sein Bruder Pierre an der Straße entlang und versuchten mir den Weg abzuschneiden. Es gelang ihnen nicht und ich war drauf und dran, mich zu freuen, als ich den alten Gorcha sah, der dank seines Pfahls Sprünge wie Tiroler Bergsteiger, wenn sie über Abgründe hüpften, machen konnte. Auch Gorcha blieb zurück. Seine Schwiegertochter, die ihre Kinder hinter sich herzog, warf ihm eines zu, das er auf seinem Pfahl auffing. Den Pfahl wie eine Balliste gebrauchend, warf er mit aller Kraft das Kind nach mir. Ich wich dem Wurf aus, aber mit einem richtigen Bulldoggeninstinkt biss sich die kleine Kröte im Hals meines Pferdes fest, ich konnte sie gerade noch wegreißen. Das andere Kind wurde mir in gleicher Weise nachgeworfen, aber es landete vor dem Pferd und wurde von ihm niedergetrampelt. Ich weiß nicht, was ich noch alles gesehen habe, aber als ich wieder zu mir kam, war es helllichter Tag und ich lag auf der Straße neben meinem sterbenden Pferd.
So endete, meine Damen, eine Liebelei, die mich für immer davor hätte bewahren sollen, nach neuen zu suchen. Einige Zeitgenossinnen Ihrer Großmütter könnten Ihnen sagen, dass ich mich zukünftig anständiger benahm.
Wie dem auch sei, ich erzittere immer noch bei dem Gedanken, dass ich, wenn ich von meinen Feinden besiegt worden wäre, selbst zum Vampir geworden wäre; aber der Himmel erlaubte nicht, dass es dazu kam, und weit davon entfernt, nach Ihrem Blut zu gelüsten, meine Damen, werde ich, trotz meines Alters, nicht mehr verlangen, meines in Ihren Diensten vergießen zu können!
Erläuterungen
zu
Alexeï Konstantinowitsch Tolstoïs
„Die Familie des Wurdalak“
von
Stéphanie Queyrol
Einführung
Die Erläuterungen zu „Die Familie des Wurdalak“ sollten ursprünglich dazu dienen, einige Unklarheiten im Text selbst zu erklären. Auf der Suche nach Erklärungen zu meinen Fragen entdeckte ich immer mehr Ungereimtheiten um Tolstoï und seine Erzählung. Ich fing also an, mich immer tiefer in das Thema der Vampirliteratur zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu verlieren und deckte dabei doch einige interessante Geschichten und Theorien auf. Ich fand nicht viel, das sich direkt auf Tolstoï und „Die Familie des Wurdalak“ bezog, aber genug, das mit Tolstoïs Erzählung Gemeinsamkeiten hatte, sodass ich anfangen konnte, konkrete Theorien aufzustellen.
In diesen Erläuterungen werde ich eine kleine Übersicht über mögliche Einflüsse auf Tolstoï anführen. Es ist mir leider nicht möglich, eine vollständige Auflistung aufzustellen, da ich kein Russisch beherrsche und diese Sprache in Bezug auf Tolstoï wichtig wäre. Dennoch habe ich versucht, möglichst weit zurückzugehen und möglichst viele Werke der Vampirliteratur aufzutreiben und zu lesen.
Im 2. Kapitel werde ich in einem ersten Schritt versuchen generell mögliche Einflüsse für das Entstehen von Tolstoïs Werk zu erörtern und aufzustellen.
In einem zweiten Schritt werde ich in Kapitel 3 eine Auswahl aus den möglichen Einflüssen, die ich im vorhergehenden Kapitel erwähne, treffen und deren Parallelen zu „Die Familie des Wurdalak“ aufzeigen.
Im 4. Kapitel und letzten Schritt werde ich noch die Logik von Jahreszahlen und Zeitabläufen in der Erzählung selbst hervorheben und aufzuklären
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