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Tolstoi, A. K.

Tolstoi, A. K.

Titel: Tolstoi, A. K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Familie des Wurdalak
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all diesen Häusern vorbei, von welchen mir die meisten bekannt waren, und kam schließlich zum Haus von Georges. Seien es emotionale Erinnerungen gewesen oder die Kühnheit des jungen Mannes, ich beschloss, die Nacht hier zu verbringen.
    Ich stieg vom Pferd ab und klopfte an das Eingangstor. Niemand antwortete. Ich stieß das Tor an, es öffnete sich knarrend und ich trat in den Hof ein.
    Ich band mein gesatteltes Pferd in einem Schuppen an, wo ich genug Hafer für eine Nacht vorfand, und bewegte mich entschlossen auf das Haus zu.
    Keine Tür war verschlossen und alle Zimmer sahen unbewohnt aus. Sdenkas Zimmer sah aus, als wäre es erst am Vortag verlassen worden. Ein paar Kleider waren noch auf dem Bett. Ein paar Schmuckstücke, die sie von mir bekommen hatte und unter welchen ich ein kleines Emailkreuz erkannte, das ich in Pesth gekauft hatte, glänzten auf einem Tisch im Mondschein. Und obwohl meine Liebe vergangen war, konnte ich mir ein Gefühl von Niedergeschlagenheit nicht verdrücken. Ich hüllte mich in meinen Mantel und legte mich auf das Bett. Bald schon schlief ich ein. Ich erinnere mich nicht an die Einzelheiten meines Traumes, aber ich weiß, dass ich Sdenka wiedersah; schön, naiv und liebenswert, wie damals. Sie wiedersehend warf ich mir meinen Egoismus und meine Unbeständigkeit vor. Wie konnte ich nur dieses arme Kind, das mich liebte, vergessen, fragte ich mich. Und ihr Bild mischte sich mit dem der Herzogin de Gramont und ich sah in diesen zwei Bildern nur eine einzige Person. Ich warf mich zu Sdenkas Füßen und flehte sie an, mir zu vergeben. In meinem ganzen Ich und meiner ganzen Seele gingen unsägliche Gefühle der Melancholie und des Glückes ineinander über.
    Es war an dieser Stelle meines Traumes, dass ich von einem harmonischen Ton geweckt wurde, der dem Geräusch eines Weizenfeldes, durch welches eine leichte Brise weht, glich. Ich glaubte zu hören, wie die Weizenähren melodisch gegeneinanderschlugen und das Gezwitscher der Vögel sich zu dem Rauschen eines Wasserfalles und dem Säuseln der Bäume gesellte. Dann schien mir, als ob all diese wirren Geräusche nur das Rascheln eines Frauenrockes seien, und ich hielt bei diesem Gedanken inne. Ich öffnete die Augen und sah Sdenka nahe beim Bett. Der Mond schien so hell, dass ich in seinem Schein die kleinsten, lieblichen Züge erkennen konnte, die mir einst so lieb gewesen waren, aber die mir nur mein Traum soeben hatte zeigen können. Ich fand Sdenka schöner und gereifter wieder. Sie trug das gleiche Negligé wie das letzte Mal, als ich sie allein getroffen hatte; ein einfaches mit goldener und roter Seide besticktes Hemd und einen Rock, der eng über ihre Hüfte fiel.
    „Sdenka!“, sagte ich ihr, als ich mich aufsetzte, „seid Ihr es, Sdenka?“
    „Ja, ich bin es“, antwortete sie mit einer süßen und traurigen Stimme. „Es ist deine Sdenka, die du vergessen hattest. Ach, wieso bist du nicht früher zurückgekommen? Alles ist jetzt zu Ende, du musst gehen; einen Moment länger und du bist verloren! Leb wohl, mein Freund, lebe wohl, für immer!“
    „Sdenka“, sagte ich ihr, „Ihr hattet viel Unglück, sagte man mir! Kommt, unterhalten wir uns darüber, und es wird Euch trösten!“
    „Oh, mein Freund“, sagte sie, „Ihr dürft nicht alles glauben, was über uns gesagt wird, aber geht, geht so schnell Ihr könnt, denn wenn Ihr hier bleibt, seid Ihr verloren.“
    „Aber Sdenka, welches ist denn die Gefahr, die mich bedroht? Könnt Ihr mir nicht eine Stunde geben, nur eine Stunde, um mich mit Euch zu unterhalten?“
    Sdenka erzitterte und eine sonderbare Veränderung ergriff ihre ganze Person.

    „Ja“, sagte sie, „eine Stunde, eine Stunde, nicht wahr, wie damals, als ich die Ballade des alten Königs sang und du in dieses Zimmer gekommen bist? Ist es das, was du sagen willst? Na gut, sei es so, ich gebe dir eine Stunde! Aber, nein, nein“, fing sie sich wieder, „geh, geh weg! – Geh schneller, sage ich dir, fliehe! … aber flieh doch, solange du es noch kannst!“
    Eine wilde Kraft belebte ihre Züge.
    Ich konnte mir den Grund nicht erklären, der sie so sprechen ließ, aber sie war so schön, dass ich beschloss, trotzdem zu bleiben. Auf mein Drängen hin gab sie nach und setzte sich zu mir, sprach von vergangenen Zeiten und gab errötend zu, dass sie mich vom Tag meiner Ankunft an geliebt habe. Währenddessen bemerkte ich langsam eine große Veränderung in Sdenka. Ihre ehemalige Zurückhaltung wurde durch eine

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