Tolstois Albtraum - Roman
eine Browning. In den beiden anderen war allerlei Bürokram. Im linken Unterschrank befanden sich Papiere und Mappen mit Manuskripten sowie Lagerbücher und Bestandslisten mit römischen Ziffern auf dem Rücken; der rechte Unterschrank barg einen kunstvoll in das polierte Holz eingearbeiteten Safe. Er war offen.
Auf rotem Samt lagen darin neben einem angebrochenen Packen Hundertrubelassignaten auch zwei Dokumente. Das erste war ein doppelt gefaltetes Blatt von einem linierten Notizblock:
An den Oberprokurator HS
Konstantin Pobedonoszew
Ich übermittle Eurer Exzellenz Informationen über die Observation des Petersburger Hauses von Olsufjew an der Fontanka bei der Pantelejmon-Brücke (Hausnummer vierzehn).
Es wurde festgestellt, dass Herr Olsufjew mehrfach von Axinja Rosental (mit der er in einer Beziehung steht) und von dem Agenten der Geheimpolizei Knopf, der mit der Fahndung nach dem Grafen T. betraut ist, aufgesucht wurde.
In Gesprächen mit Beamten der Geheimpolizei wurde festgestellt, dass die Fahndung nach T. von Olsufjew selbst initiiert wurde. Das Ziel des Ganzen bleibt indes weiterhin unklar.
Zudem bitte ich Eure Exzellenz zu beachten, dass eine Begegnung zwischen dem Grafen T. und Wladimir Solowjow belegt ist, die im Hause Olsufjew ein Jahr zuvor stattfand. Den Informationen des damaligen Portiers zufolge war auch Olsufjew selbst bei dieser Begegnung anwesend.
Agent »Brunhilda«
»Ich? Ich habe mich mit Solowjow getroffen?«, wunderte sich T. »Dann ist es ganz und gar kein Zufall, dass ich nach Optina Pustyn gehe … Aber wer ist dieser Olsufjew?«
Das zweite Dokument im Safe war dem Aussehen nach ein ganz gewöhnliches Kanzleischriftstück, von der Art, wie sie häufig zwischen verschiedenen Departements hin und her gehen – es war mit einer stark nach rechts geneigten, feinen schwarzen Schrift bedeckt und mit einer Vielzahl barocker Vignetten versehen, wie sie Regimentsschreiber zur Ausschmückung ihres Werks verwenden, wenn sie über die Ewigkeit nachdenken.
An den Oberprokurator HS
Konstantin Petrowitsch Pobedonoszew
von Schimonach II . Klasse,
Kollegienassessor Semjon Kuprijanow
Vertraulich
Im Namen von BHGW , dem Erhabenen, Verborgenen
Hiermit setze ich Eure Exzellenz, in Kenntnis über die Umstände der Geheimen Prozedur in der Sache des Grafen T.
Erwartungsgemäß wurde der Graf genau entsprechend den von Eurer Exzellenz gemachten Angaben zu Zeit und Ort bei dem verlassenen Bootshaus gefasst. Ebendort wurden auch die Leichen von Agenten der Geheimpolizei entdeckt, die versucht hatten, den Grafen festzunehmen.
Die erste Gruppe der Geistlichkeit, die zur Ergreifung entsandt wurde, ist umgekommen. Bei unserem Eintreffen waren alle Mönche bereits tot. Rabba War-Sonof lag noch im Todeskampf, aber ihm zu helfen erwies sich als unmöglich. Graf T. selbst, der bei der Explosion eine Gehirnerschütterung erlitten hatte, war in bewusstlosem Zustand. Das Opferamulett an seinem Hals fehlte.
Dessen ungeachtet wurde die Geheime Prozedur zur Sublimation der Seele des Großen Löwen mit dem Eurer Exzellenz bekannten guten Ziel in Angriff genommen, wobei die übliche Garnitur des Heiligen Geräts benutzt wurde – das Kristallnetz und die Kuppel der Verklärung mit den beiden Projektionslaternen und dem Armeezelt.
Gemäß Protokoll der Geheimen Prozedur wurden die Lider des Rezipienten gewaltsam geöffnet und seine Augen zum Zeltdach gelenkt, das als Leinwand für die Laternen diente. Die rechte Projektionslaterne erschreckte das schlafende Bewusstsein durch Bilder des »Großen Abgrunds«, des »Erbarmungslosen Winds«, der »Unvorstellbaren Schwere«, der »Unzähmbaren Flamme« usw., während die linke Projektionslaterne die Seele durch Darstellungen des Antlitzes trösten und so einen Kanal zur Kontaktaufnahme mit BHGW , dem Erhabenen, Ewigen, sowie zur anschließenden Ansaugung der Seele herstellen sollte. Als phonographische Aufnahme, die bei der zu sublimierenden Seele ein akutes Gefühl von Einsamkeit hervorrief, wurde Benjamin Purcells »O Solitude« nach dem Gedicht von Saint-Amant gespielt.
Während der Prozedur hingegen kam es zu einem Versäumnis, an dem der verstorbene Mönch Pereswet die Schuld trägt. Wie sich bei der gerichtlichen Untersuchung herausstellte, hatte Pereswet drei Tage zuvor eine der Projektionslaternen benutzt, um einer Bekannten, einer Kleinbürgerin in der Stadt Kowrow, Bilder weltlichen Inhalts zu zeigen, und anschließend einen Satz fotografischer
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