Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Diapositive verwechselt.
    Infolge dieser Verwechslung zeigte die linke Projektionslaterne anstelle des Antlitzes von BHGW eine zufällige Abfolge von Bildern: Ansichten des italienischen Flusses Brenta, einen Sonnenuntergang auf dem winterlichen Jenissei sowie verschiedene Abbildungen aus der griechischen und skandinavischen Mythologie, Pariser Panoramen verschiedener französischer Maler, Porträts von Louis-Napoleon usw. Als das Versäumnis bereinigt wurde und die linke Laterne das Abbild des Antlitzes an das Zeltdach projizierte, war seit dem Tod des Opferkätzchens bereits über eine Stunde vergangen und das Heil aus dem Kristallnetz verschwunden. Aus diesem Grund sowie infolge des fehlenden Opferamuletts kam es nicht zur Ansaugung der Seele.
    Eingedenk der besonderen Bedeutung der Angelegenheit wurde der Graf an Ort und Stelle in bewusstlosem Zustand zurückgelassen. Die Spuren der misslungenen Geheimen Prozedur wurden aufs Sorgfältigste beseitigt. Die Leichen der Mönche wurden dort belassen, wo sie zu Tode gekommen waren, um nicht das Misstrauen des Grafen zu erregen.
    Ich vermute, dass man sich auf das Erscheinen des Grafen in Petersburg sowie auf die erforderliche Durchführung des Rituals einstellen muss.
    Iakin,
    Rabba Rav-Kuprijan
    Darunter stand eine mit Bleistift geschriebene Anmerkung von Pobedonoszew:
    Ich spüre, die letzte Begegnung wird furchtbar und unkalkulierbar sein. Aber sie ist unvermeidbar. Herr, gib mir Kraft.
    T. schloss die Augen – und hatte plötzlich Dostojewski vor sich. Er sah anders aus als auf dem Porträt, nur das Gesicht war wie vorher, aber der Körper, aus bläulichem Feuer gewoben, war nicht von dieser Welt und durchsichtig. Hinter Dostojewski waren die blendendweißen Silhouetten von zwei Engeln zu sehen.
    »Wissen Sie, Graf«, sagte Dostojewski leise, »anscheinend ist es noch immer Ariel, der Sie erschafft. Mit all Ihren weißen Handschuhen. Nur hat er Sie für seinen Shooter zurechtgebogen …«
    T. gab keine Antwort, er wusste nicht, was er sagen sollte, und Dostojewskis flimmernde Gestalt schwebte, gefolgt von den beiden leuchtenden Engeln, feierlich himmelwärts.
    Was er gehört hatte, war unverkennbar eine akustische Halluzination. Und zweifellos die Wahrheit. Jedenfalls musste er Pobedonoszews Wohnung so schnell wie möglich verlassen.
    Das Treppenhaus war leer. Im ganzen Haus herrschte eine kühle sommerliche Stille, nur unterbrochen durch das Knarren eines im Wind schwankenden Fensterladens.
    »Also schon wieder Ariel und seine Bande«, dachte T., als er die Stufen hinunterstieg. »Er hat mich erneut zum Narren gehalten … Was jetzt wieder an Scheußlichkeiten und Blut kommt, kann ich mir denken. Und wie es weitergeht, ist klar. Zwei Taschen mit Waffen aus Jasnaja Poljana, ein Päckchen Mutterkorn von Goscha Piworylow, nachts kommt dann Axinja, sieht mich mit einem purpurroten Auge an und flüstert etwas auf Lateinisch …«
    Als er das unterste Stockwerk erreichte, fiel ihm auf, dass sich der Eingang verändert hatte. Die eiserne Pförtnerloge war nicht mehr da, aber dafür stand an der Eingangstür nun ein geschwungener Wiener Stuhl, auf dem ein Pförtner mit gelbgerandeter Schirmmütze ein Nickerchen machte.
    Mit einem sechsten Pförtnersinn spürte er T. kommen und legte die Hand an den Mützenschirm, ohne die Augen aufzuschlagen. T. ging schweigend an ihm vorbei.
    Auf der Straße beobachtete er eine Weile die Kanalisationsluke direkt gegenüber dem Eingang. Er begriff nicht, wie das Bild durch die Luke gepasst hatte – andererseits brachte Ariel noch ganz andere Sachen fertig. Neben ihm hielt eine Droschke, die früher einmal gelb angestrichen und jetzt vor lauter Dreck beinahe braun war.
    Der Kutscher war ein gewöhnlicher Petersburger Fuhrmann, ein bartloser junger Kerl, allem Anschein nach aus einem der umliegenden Dörfer in die Stadt gekommen, um sich etwas dazuzuverdienen.
    »Eine Droschke gefällig, gnädiger Herr?«
    »Hotel Jewropeiskaja. Aber fahr an der Fontanka entlang, mein Bester. Und zeig mir, wo die Nummer vierzehn ist, das Haus von Olsufjew.«
    »Immer noch besser Axinja«, dachte er, während er die geschäftig umhereilenden Menschen betrachtete, »als ein Matrose oder ein Kutscher. Das könnte schließlich auch passieren, wenn die Marketender das Sagen haben. Und dann würde es wieder so aussehen, als wäre ich so ein vielseitiger, zutiefst widersprüchlicher – aber ein umso grandioserer Mensch …«
    Diese Gedanken riefen einen Anfall

Weitere Kostenlose Bücher