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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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standen: »A-L«.
    »Nehmen Sie Platz«, sagte Ariel und deutete mit dem Kopf auf die Kissen. »Wenn Sie nicht am Boden sitzen wollen, erschaffe ich mit Vergnügen einen Stuhl oder einen Sessel für Sie.«
    »Ich komme sehr gut zurecht«, sagte T. und ließ sich gegenüber dem Hausherrn auf einem Kissen nieder.
    Nachdem er mühsam die Beine in den staubigen Gendarmenstiefeln gekreuzt (und dabei mit den Sporen einem der kleinen Teppiche einen Riss beigebracht) hatte, musterte er sein Gegenüber ein oder zwei Minuten aufmerksam. Ariel betrachtete T. schweigend und anscheinend ebenfalls mit Neugier.
    »Jetzt nehmen Sie die Maske ab«, sagte T.
    Er hatte nicht damit gerechnet, dass Ariel seine Bitte erfüllen werde. Doch der hob fügsam die Hand und zog die Maske vom Gesicht.
    T. sah einen Mann mittleren Alters, mit einem Bürstenschnurrbart und einem Kranz schütterer Haare über einem kahl werdenden Schädel. Sein fleischiges, rundliches Gesicht zeigte einen starren Ausdruck gespannter Erwartung – als habe er soeben einen Schluckauf gehabt und warte nun, ob dieser auch wirklich vorbei sei. Kurzum, ein ganz gewöhnliches Gesicht, das man auf der Stelle vergessen hat, wenn es aus dem Blickfeld verschwunden ist.
    Dafür war Ariel höchst originell, um nicht zu sagen grotesk gekleidet. Unter dem offenen Kaftan sah man eine Art warme Unterwäsche aus einem seltsamen, schillernden Material von gelbbrauner Farbe; an den Seiten der Hose war anstelle von Hosenstreifen das Band des St.-Georgs-Ordens 9 aufgenäht und mitten auf der Brust befand sich eine Litze in Form einer schwarzen Lilie.
    Diesem Aufzug haftete vielleicht etwas leicht Kavalleristisches an, aber jedenfalls nichts Engelhaftes oder Dämonisches: Als er Ariel da liegen sah, musste T. an einen Stabskapitän im Ruhestand denken, der im Rahmen seiner bescheidenen Möglichkeiten und unter Zuhilfenahme von Abbildungen aus den hauptstädtischen Journalen versucht hatte, bei sich zu Hause im Gouvernement Rjasan einen Serail einzurichten.
    »Ich habe Sie gebeten, in Ihrer wahren Gestalt vor mir zu erscheinen«, sagte T. »Bedeutet Ihr … hm … Aussehen, dass Sie meiner Bitte nachgekommen sind?«
    Ariel nickte.
    »Ist Ihr Körper echt?«, fragte T. »Oder ist er auch nur ein Trick?«
    »Sie machen mir Spaß«, erwiderte Ariel. »Was genau wollen Sie denn da überprüfen? Hier ist alles echt, aber nur, solange ich es will. Was wirklich ist oder nicht, wird ausschließlich durch meinen Willen definiert.«
    »Wenn ich schon mit dem Schöpfer spreche«, sagte T., »kann ich ihn dann fragen, was das Ziel der Existenz ist?«
    Ariel lächelte.
    »Die Existenz, mein Herr, ist kein Kanonenschuss. Wie kommen Sie darauf, dass sie ein Ziel hat? Außerdem sind Sie mit dieser Frage bei mir an der falschen Adresse. Ich bin nur der Schöpfer der für Sie sichtbaren Welt, ein zeitweiliger Gebieter, der Schatten aus Staub erschafft. Erinnern Sie sich, wie es bei Puschkin heißt? ›Ein Herrscher, tückisch und verhärmt / Ein Geck mit kahlem Kopf, der Arbeit Feind / Versehentlich vom Ruhm gewärmt …!‹ 10 Nur der Ruhm ist irgendwie abhandengekommen, ha-ha-ha …«
    »Schatten?«, fragte T. nach. »Wollen Sie damit sagen, dass ich nur ein Schatten bin?«
    »Kommt drauf an, mit wem man vergleicht«, antwortete Ariel. »Im Vergleich zu mir sind Sie ein Schatten. Aber wenn man Sie mit Knopf vergleicht, ist er der Schatten.«
    »Na schön«, sagte T. »Können Sie mir denn erklären, was ich in der von Ihnen erschaffenen Welt tue?«
    »Kann ich. Aber das wird Ihnen kaum gefallen.«
    »Ich bitte Sie, sagen Sie mir die Wahrheit, so schlimm sie auch sein mag. Quälen Sie mich nicht länger. Wer sind Sie? Sind Sie wirklich ein Engel? Oder vielleicht ein Dämon?«
    »Ich bin ein Mensch«, erwiderte Ariel. »Aber in Bezug auf Sie bin ich eher eine Gottheit als ein Wesen derselben Klasse.«
    »Wie kann das sein?«
    »Das ist eine lange Geschichte. Ich komme aus einer Familie, die allerlei reichlich exzentrische Typen hervorgebracht hat – Revolutionäre, Bankiers, ja sogar Räuber. Der ungewöhnlichste Spross aber war mein Großvater väterlicherseits, ein Mystiker und Kabbalist.«
    »Ein Kabbalist? In unserem aufgeklärten Jahrhundert?«
    »Ein waschechter Kabbalist«, bestätigte Ariel. »Aber keiner von diesen Scharlatanen, die mit ihrem Pseudowissen in Hochglanzmagazinen hausieren gehen, sondern ein wahrer Esoteriker. Sehen Sie, das Russland Ihrer Zukunft und meiner Vergangenheit war ein

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