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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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hochinteressanter Ort. In diesem Land konnte jeder, der wollte, irgendeine fiktive Arbeit annehmen, als Wächter zum Beispiel, um so mit staatlicher Fürsorge bescheiden zu leben und sich gleichzeitig mit allen möglichen spirituellen Praktiken zu beschäftigen. Besonders viele von denen gab es nach dem großen Krieg, als die Menschen sich enttäuscht von den Idealen abwandten, für die sich die Gesellschaft früher begeistert hatte …«
    »Welchen Krieg meinen Sie?«
    »Den mit den Deutschen«, sagte Ariel. »Aber das spielt keine Rolle. So kommen wir vom Thema ab. Ich wollte lediglich erklären, dass mein Großvater ein wahrer Kabbalist war, sehr fortschrittlich und in mystischen Kreisen hochgeachtet. Er ist auf seltsame Art zu Tode gekommen … Aber jetzt schweife ich selbst ab. Also, alles begann in meiner Kindheit, ich war neun Jahre alt. Mein Großvater, das muss man dazu sagen, war ein Spaßvogel, er lachte gern, und es war unmöglich, ihm die Laune zu verderben. Eines Tages aber fragte er mich, was ich werden wolle. Und ich sagte, ich wolle Schriftsteller werden. In dem Moment war es tatsächlich so, obwohl ich zwei Tage zuvor noch Feuerwehrmann werden wollte. Als der Großvater meine Worte vernahm, wurde er buchstäblich fahl vor Entsetzen und fragte: ›Aber warum?‹ Ich konnte ihm keine ehrliche Antwort geben …«
    »Wieso nicht?«
    »Der Grund dafür war lächerlich und absurd, mir ist es sogar peinlich, Ihnen davon zu erzählen. In der Schule mussten wir endlose Gedichte über Lenin pauken, das ist der Bruder des Zarenmörders Uljanow, von dem haben Sie bestimmt schon gehört. Es war unerträglich langweilig. Die älteren Jungs brachten mir zu der Zeit allerlei vulgäre, unanständige Liedchen bei. Eines Tages hörte ich einen Vierzeiler: ›In der Kabine erster Klasse / Ist Sadko allweil Ehrengast / Er bläst Pariser auf in Massen / Und hängt sie an den Flaggenmast …‹«
    »Sadko?«, fragte T. »Das ist doch ein Held aus den Bylinen, 11 wenn ich nicht irre?«
    Ariel nickte.
    »Ich weiß nicht, warum, aber das war ein Schock für mich«, fuhr er fort. »Ihnen als Mensch aus einer anderen Kultur kann ich das nur schwer erklären, trotz all meiner Macht über Sie. Ich hatte damals natürlich keine Ahnung von der Postmoderne, aber ich spürte den Wind der Freiheit, der mir aus diesen Strophen entgegenwehte. Da war Schluss mit den Gedichten über Lenin und die Heimat, Schluss mit dieser ganzen ›Staatsmacht‹, wie sich mein Großvater immer ausdrückte. Damals kam mir der Gedanke, dass es nicht schlecht wäre, wenn ich auch lernen könnte, Wörter zu solch gewaltigen Strophen zusammenzufügen. Aber ich genierte mich, meinem Großvater die Wahrheit zu sagen. Also schwindelte ich ihm vor, ich würde mir gerne Leute ausdenken, die es vorher nicht gegeben hätte. Die Reaktion meines Großvaters war ein Schock – er fiel vor mir auf die Knie und flehte mich an: ›Arik, versprich mir, dass du dir diesen schauerlichen Gedanken aus dem Kopf schlägst!‹«
    »Ist Ariel denn Ihr richtiger Name?«
    »Ja«, erwiderte Ariel. »Ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen – Ariel Edmundowitsch Brahman.«
    »Sehr angenehm«, sagte T. »Ein ungewöhnlicher, schöner Name.«
    »Ein jüdischer Name«, sagte Ariel. »Dabei bin ich gar kein Jude, stellen Sie sich vor! Selbst mein Großvater, der Kabbalist, war kein Jude, er stammte aus der Familie eines polnischen Priesters. Ich kann Juden nicht ausstehen.«
    »Warum?«
    Ariel fing an zu lachen.
    »Hauptsächlich wegen meines Namens. Sie hätten mal versuchen sollen, sich als Halbwüchsiger mit so einem Namen gegen eine Bande von Jungs auf dem Hof durchzusetzen, dann hätten Sie die Frage erst gar nicht gestellt. Wenn ich wirklich Jude wäre, meinetwegen – die haben ihre Geigen und ihre Matze mit Christenblut, da können sie wenigstens zwischendurch abschalten. Aber für mich gab es einfach keine Atempause. Den Namen hat mein Großvater ausgesucht, nach seinen kabbalistischen Berechnungen. Damit mein Leben hell und erlebnisreich werde. So ist es dann ja auch gekommen … Wo war ich stehengeblieben?«
    »Sie haben Ihrem Großvater gesagt, dass Sie Schriftsteller werden wollen.«
    »Ach ja … Nach diesem Geständnis führte er ein Gespräch mit mir, das ich nie vergessen habe. Er sprach über Dinge, die für mich völlig unvorstellbar waren … Er wollte mir die Beschäftigung mit Literatur ausreden, obwohl ich gar nicht ernsthaft daran gedacht hatte. Am Ende aber

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