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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Mächten, die auf den Wiesen geisterhafter Seelen miteinander spielen? Genießt er dieses Schauspiel? Liest er das Buch des Lebens?«
    »Gott liest das Buch des Lebens nicht«, erwiderte der Imperator gewichtig. »Er verbrennt es, Graf. Und isst dann die Asche auf.«

X
    Frühmorgens, als T. noch schlief, traf ein Fuhrwerk mit Kleidern und Waffen aus Jasnaja Poljana ein.
    Das kam gerade recht – die Uniform war mittlerweile dermaßen staubig und verdreckt, dass die Farbe weniger an das Blau des Himmels als an einen bewölkten Tag erinnerte. Sie war an mehreren Stellen eingerissen und sah insgesamt sehr suspekt aus – die Passanten blickten T. hinterher, als überlegten sie, ob das derart erbärmliche Aussehen eines Obersten der Gendarmerie nicht vielleicht zu bedeuten habe, dass über dem Vaterland die Morgenröte der langersehnten Freiheit angebrochen sei.
    Außerdem besaß T. nun wieder ein Pferd, wenn auch ein bedeutend schlechteres als das, was ihm der Zigeunerbaron geschenkt hatte.
    Nach dem Frühstück befahl T., das Pferd zu satteln; er selbst öffnete die Reisetruhe und breitete die Waffen und die Kleidung auf dem Tisch aus. Zweifellos würden Knopf und seine Leute ihm unterwegs auflauern und für diese Begegnung galt es, sich gründlichst vorzubereiten.
    T. entblößte sich bis zum Gürtel und zog eine mit vielen Taschen und Fächern versehene Weste über seinen muskulösen Körper. Die Weste war schwer: Sie war mit einem Kettenhemd aus ineinander verflochtenen Stahlbändern, Kautschukfäden und Fischbein gefüttert, das nicht nur einer Klinge standhalten, sondern auch einen Querschläger abwehren würde.
    »Knopf bereitet sich jetzt auch auf die Begegnung vor«, dachte T. und steckte Wurfmesser in seine Taschen. »Bestimmt hat er ein paar Überraschungen für mich in petto … Aber das ist ja nichts Neues. Mich würde vielmehr interessieren, ob Knopf sich wohl überlegt, warum ihm das alles passiert? Warum er mit heraushängender Zunge hinter mir herjagt? Oder ist er so ein leichtgläubiger Idiot, dass er das ganze Geschehen als selbstverständlich hinnimmt, ohne sich im Geringsten zu wundern?«
    Über die Weste streifte T. ein weites, langes Bauernhemd, wie es der Ackersmann getragen hatte, den er vom Zug aus gesehen hatte. Dann zog er eine dunkelblaue ukrainische Pluderhose an, in der die darin verborgenen todbringenden Werkzeuge schwer klirrten.
    Eines der Bündel aus Jasnaja Poljana war besonders sorgfältig verpackt. T. riss die beiden Schichten Packpapier ab und wickelte eine schwarze Lackschatulle aus, die er auf den kleinen Tisch unter dem Spiegel stellte. Dann setzte er sich vor den Spiegel, nahm den Kamm, fuhr damit sorgfältig durch seinen Bart und klappte die Schatulle auf.
    Sie enthielt zwei Fächer. In dem einen, schmaleren lag eine Docke farbloses Seidengarn, in dem anderen Fach ein Bündel hauchdünner grauschwarzer Drahtpfeile aus gezacktem Damaszenerstahl, scharf und lang. T. begann, die Pfeile in seinen Bart zu flechten und mit dem Garn am Kinn festzubinden.
    »Immerhin ist Knopf nicht der einzige leichtgläubige Idiot«, dachte er, während er seine Finger im Spiegel beobachtete. »Keiner hier stellt das Geschehen infrage. Weder der Kaufmannsvorsteher Raspljujew noch Axinja oder dieser riesige Zigeuner Lojko mit seiner kaputten Nase. Man kann sich kaum vorstellen, wie es in Knopfs Seele aussieht … Obwohl – vielleicht doch … Bestimmt hegt er die dunkle, aber eiserne Überzeugung, dass sämtliche allgemeinen Fragen des Lebens schon gelöst sind und es Zeit ist, sich an die besonderen zu machen. Wie sonst könnte er seine Rolle spielen?«
    Als er sich alle Drahtpfeile in den Bart geflochten hatte, zog T. mit stählernen Steigeisen versehene Kautschukstiefel an (der Kautschuk war mit Bast überklebt, weshalb die Stiefel aussahen wie zerrissene alte Bastschuhe). Danach stülpte er einen breitkrempigen Strohhut über, der ebenfalls alt und schäbig aussah – in der doppelt geklebten Krempe verbarg sich eine dünne Stahlscheibe mit scharfen, gezackten Rändern.
    In der Reisetruhe befand sich noch ein kleiner, dunkelblauer Kasten, der aussah wie eine Schachtel teurer Zigarren oder Pralinen – er enthielt sicherlich etwas ganz Besonderes. T. öffnete sie.
    Auf scharlachrotem Samtfutter ruhten in weichen Vertiefungen zwei längs geriffelte und schräg gekerbte schwarze Metallkegel, an deren Spitze sich das gelbe Auge einer Zündkapsel befand.
    Neben den Kegeln lag ein zusammengefaltetes

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