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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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sprach:
    »Sodomiten.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    Der Graugrüne zuckte die Achseln.
    »Ich weiß aus Erfahrung, dass hinter Geheimgesellschaften üblicherweise kein anderes Geheimnis steht außer diesem. Wozu sonst die ganze Geheimniskrämerei?«
    »Vielleicht ist es nur die Maskierung für eine andere, noch verwerflichere Tätigkeit!«
    Der graugrüne Herr schüttelte den Kopf.
    »Wohl kaum. Wucher treiben kann man heute ganz offen – dafür wird man vom englischen König sogar zum Ritter geschlagen. Für Sodomie bestimmt auch bald. Aber wer braucht die heutzutage noch, diese englischen Ritter? Neulich stand in der Zeitung, dass letztes Jahr in Manchester …«
    T. unterbrach ihn mit einer Handbewegung.
    »Bitte schweifen Sie nicht ab«, sagte er. »Worauf konkret stützen Sie sich bei dieser Vermutung? Welche Fakten haben Sie?«
    Der graugrüne Herr nahm seine Melone vom Knie und legte sie auf den Tisch, schob die Hand in seine Innentasche und zog einen dicken Umschlag hervor, der dieselbe graugrüne Farbe hatte wie sein Rock. In dem Umschlag befand sich ein zylindrischer Gegenstand.
    »Was ist das?«, fragte T.
    »Die Antwort Ihres mongolischen Mediums auf eine Anfrage von Pobedonoszew. Ich habe den Umschlag aus dem Briefkasten des Oberprokurators gestohlen und bin damit ein großes Risiko eingegangen. Die Anfrage selbst habe ich nicht, aber aus der Antwort ist alles ersichtlich.«
    T. öffnete den Umschlag. Darin befanden sich ein zusammengefaltetes Blatt Papier und ein mit glänzendem weißem Material bedeckter Zylinder.«
    »Die Walze eines Phonographen?«
    »Exakt«, bestätigte der Graugrüne.
    T. faltete das Papier auseinander und las:
    Euer Exzellenz, Herr Pobedonoszew!
    In Beantwortung Ihrer Anfrage beeile ich mich, Folgendes mitzuteilen. Soweit mir bekannt ist, erklärt die Lehre der tibetischen Lamas keineswegs den Umstand, dass schöne Jünglinge häufig der Päderastie zuneigen. Als Privatperson hingegen kann ich Folgendes vermuten. Zu Lebzeiten fühlt sich die Mehrheit der Päderasten leidenschaftlich angezogen von schönen Knaben, denn sie sind das Ideal der für dieses Laster Anfälligen. Wenn aber das Laster eine solche Intensität erreicht, dass es das Herzstück des menschlichen Wesens erfasst, ist selbst der Tod zu wenig, um diese Glut zu kühlen, und sie überträgt sich auf das nächste Leben, wo gewöhnlich der stärkste in der Vergangenheit unerfüllt gebliebene Wunsch in Erfüllung geht – und so wird der Sünder selbst als sein früheres Idol wiedergeboren. Dabei tritt jedoch die ganze Ausweglosigkeit des Kreislaufs menschlicher Bestrebungen zutage: Wer früher nach hübschen Jünglingen lüstete, wird nun selbst zum Objekt eines schmutzigen Interesses. Wahrhaftig, welche Vergeblichkeit – was ist die Schönheit der Jugend, wenn nicht Quell der Bedrohung für das Gesäß? Und so, Euer Exzellenz, geht es von einem Leben zum anderen.
    Beigefügt erhalten Sie das auf der Trommel eines Phonographen aufgezeichnete alte tibetische Lied »Als ich mit dem Munde sündigte, starb mein Lama in dem Jahr«. Es singt der Yogi Denis Bykososov, Bön-Tradition.
    Mit vorzüglicher und so weiter und so fort
    Urgan Dschambon Tulku VI .
    »Die Walze ist beschädigt«, sagte der graugrüne Herr bekümmert. »Sehen Sie diesen langen Kratzer hier? An der Stelle knackt es immer, aber man kann es hören. Etwas ganz Merkwürdiges – ein tiefes Gebrüll und Geraschel. Da wird einem ganz beklommen zumute.«
    T. überlegte kurz.
    »Sie haben gesagt, dieses Medium stehe in Beziehung zu Pobedonoszew. Meinten Sie damit …«
    »Aber nein, wo denken Sie hin!« Der graugrüne Herr grinste anzüglich. »Das war nur so eine Redensart. Oberprokurator Pobedonoszew interessiert sich für Spiritismus und sein Kontakt zu Lama Dschambon ist streng professioneller Natur. Der Lama leitet spiritistische S é ancen. Nichtsdestotrotz habe ich mich entschlossen, Sie von ihrer Bekanntschaft in Kenntnis zu setzen.«
    »Danke«, sagte T. nach einer Weile. »Und dieser Lama ist tatsächlich ein gutes Medium?«
    »In spiritistischen Kreisen heißt es, in Petersburg könne ihm keiner das Wasser reichen. Angeblich ist er nicht nur in der Lage, Geister zu rufen, sondern er kann auch in den Herzen lesen und Gedanken erkennen …«
    »So ist es«, ließ sich plötzlich eine leise, aber deutliche Stimme vernehmen. »Innerhalb bestimmter Grenzen, versteht sich …«
    T. und der graugrüne Herr drehten sich gleichzeitig um.
    In der Tür stand

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