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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Sie es noch nicht wissen, Graf, die Lehre von der Wiedergeburt der Lamas betrifft ausschließlich die Vererbung klösterlichen Feudalbesitzes.«
    »Das sagen Sie als Lama?«, wunderte sich T.
    »Ich sage das als Lama, der seriöse Klienten niemals betrügt. Deswegen bin ich auch so teuer.«
    »Das heißt also«, fragte T. neugierig, »Sie glauben gar nicht an die Reinkarnation?«
    »Nicht ganz«, erwiderte Dschambon. »Meiner Auffassung nach wird nicht eine einzelne Persönlichkeit wiedergeboren, sondern das Absolute. Karl wird also nach dem Tod nicht zu Klara, sondern ein und dieselbe unaussprechliche Kraft wird sowohl Karl als auch Klara und kehrt anschließend zu ihrer Natur zurück, ohne von einer dieser Verkörperungen berührt worden zu sein. De facto kann man aber natürlich über das Absolute nicht sagen, dass es wiedergeboren oder verkörpert wird. Deshalb ist es besser, dieses Thema überhaupt nicht anzusprechen.«
    »Und was ist mit den Erinnerungen an die früheren Leben?«
    Dschambon zuckte die Achseln.
    »Die kulturelle Nährlösung, aus der unsere zeitweilige irdische Existenz entsteht, enthält Überbleibsel fremder Leben. Wie Halme von totem Gras im Humus. Aber wenn an Ihrer Sohle das Etikett einer Mineralwasserflasche klebenbleibt, so heißt das nicht, dass Sie im früheren Leben ein Mineralwasser waren.«
    »Aber Ihre ganze Lehre …«
    »Ja, ja«, versetzte Dschambon. »Sie brauchen gar nicht weiterzureden. In den Jatakas sprach Buddha: ›Als ich Bodhisattva war, als ich Zarewitsch war …‹ Wie ich schon sagte, wir waren alle ein und derselbe absolute Geist. Deshalb kann derjenige von uns, der dieser absolute Geist wird, sich zu pädagogischen Zwecken an alles erinnern, woran er will. Oder jedenfalls alles sagen, was er will.«
    »Und was ist dann die Strafe für den Sünder, wenn er nicht in der Hölle wiedergeboren wird?«
    »Die Strafe ist dieser grauenhafte Geisteszustand, in dem er bis zum Tode verbleibt. Dieser Zustand ist die Hölle. All das ist lediglich eine Metapher für das, was im Leben mit uns geschieht. Im Übrigen, Graf, wenn man sich große Mühe gibt, kann man tatsächlich in der Hölle wiedergeboren werden. Für den absoluten Geist ist absolut alles möglich.«
    »Hm«, machte T. »Ich hätte nie gedacht, dass wiedergeborene Lamas so interessant sein können.«
    »Ich bin kein gewöhnlicher wiedergeborener Lama«, lächelte Dschambon. »Das hat aber nichts mit unserem Experiment zu tun. Wenn Sie es sich nicht anders überlegt haben, heißt das.«
    »Keineswegs. Mein Entschluss steht fester denn je. Aber woher rufen wir dann den Geist von Dostojewski?«
    »Wenn Sie das möchten«, sagte Dschambon ernst, »dann wenden wir uns an diesen absoluten Geist, von dem ich sprach. Wir bitten ihn, für Sie einen interessanten Aspekt der Realität zu schaffen, was auch immer das sein mag. Da Sie sich für einen Kontakt zu Fjodor Dostojewski interessieren, habe ich das Porträt mitgebracht, gewissermaßen als Wegweiser.«
    »Interessant. Was meinen Sie, ist der absolute Geist nicht verärgert, dass man ihn wegen Geld behelligt?«
    »Keine Sorge«, erwiderte Dschambon. »Selbst wenn, dann habe ich die Probleme und nicht Sie.«
    »Und wo suchen wir den absoluten Geist?«, fragte T.
    »Sie finden ihn in sich selbst. Aber nur für eine kurze Zeit und mit meiner Hilfe. Also was ist, fangen wir an?«
    T. nickte.
    »Dann hören Sie mir gut zu. Während des Experiments kann es zu recht ungewöhnlichen Erlebnissen kommen. Wenn Sie also eine Antwort auf eine konkrete Frage haben wollen, formulieren Sie diese im Voraus, und zwar einfach und klar. Ein, zwei Worte, höchstens drei. Wiederholen Sie diesen Satz mehrmals, damit Sie ihn nicht vergessen.«
    »Ich habe schon so einen Satz«, antwortete T.
    »Darf ich ihn hören?«
    »Er wird Ihnen nichts sagen. Aber meinetwegen: ›Optina Pustyn‹. Oder auch ›Optina Pustyn Solowjow‹. Ich will Dostojewski danach fragen, weil er diesen Ausdruck als Erster benutzt hat.«
    »Gut«, sagte Dschambon, »das verstehe ich wirklich nicht, aber die Hauptsache ist, dass Sie es verstehen. Nun noch eine Bedingung. Ich möchte Sie während des Experiments auf dem Stuhl festbinden.«
    T. runzelte die Stirn.
    »Wozu denn das?«
    »Es ist so«, erwiderte Dschambon, »dass die Substanzen, die ich verwende, oftmals unvorhersehbar wirken, und es kommt vor …«
    »Die Substanzen? Was für Substanzen?«
    »Ich gebe Ihnen eine Arznei aus speziellen tibetischen

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