Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Kanalisationsluken, von denen Herren in tünchebeschmierten Gehröcken zu den Hauseingängen liefen. Die Hauswände waren übersät mit Schmutzflecken, Schimpfwörtern und unleserlichen Graffiti, die in ihrem schillernden Pluralismus von trostloser Monotonie waren.
    T. fühlte sich genötigt, etwas zu sagen.
    »In der Provinz lebt es sich doch anders«, murmelte er. »Elender – das ja. Aber trotzdem irgendwie sauberer, menschlicher … Und die Luft ist entschieden besser.«
    »Nicht abschweifen«, sagte Dschambon. »Sie müssen sich irgendeinen Orientierungspunkt vorstellen, bei dem das Treffen stattfindet. Geht das?«
    »Ja«, erwiderte T. »Da gab es einen umgekippten Weihnachtsbaum mit Spielzeug dran.«
    »Können Sie ihn sehen?«
    »Bis jetzt noch nicht. Ich sehe nur Nebel.«
    Tatsächlich waberte mittlerweile ein unangenehm grünlicher Nebel durch die Straßen.
    »Blicken Sie auf gar keinen Fall in den Nebel«, befahl Dschambon. »Schauen Sie zum Himmel hoch. Wenn sich der Geist beruhigt, blicken Sie wieder nach unten. Beeilen Sie sich, Ihre Tanne zu finden, ich sehe, dass Sie es gleich geschafft haben und endgültig dort sind. Ich wiederhole, Sie müssen jede Zweiheit ablegen.«
    »Ich gebe mir Mühe«, sagte T. und hob die Augen zum Himmel.
    Über der Stadt schwebten zwei runde Wolken, die aussahen wie die wulstigen und übertrieben fleischigen Gesichter auf einem Stich von Dürer. Das eine Gesicht schien einem langhaarigen alten Mann zu gehören, das andere war rundlich und jung, und beide blickten auf T. mit der unmenschlichen Gleichgültigkeit der Ewigkeit, die selbst dann nicht verschwand, als der Wind die Gesichter verwehte.
    »Sie haben einen doppelköpfigen Imperator«, fiel es T. ein. »Vielleicht ist das eine Illumination zum Feiertag. Es muss doch hier auch Feiertage geben … Wo ist denn nur dieser umgekippte Weihnachtsbaum? Ach, da ist er ja …«

XVII
    So etwas hatte Dostojewski lange nicht gesehen. Wenn er es sich recht überlegte, hatte er so etwas überhaupt noch nie gesehen.
    Unmittelbar vor dem Schützengraben, nur drei Schritte entfernt, stand wie aus dem Nichts ein mongolischer Bonze in einer dunkelroten Kutte und starrte ihm direkt in die Augen.
    Der Bonze war unbewaffnet und offensichtlich nicht von Westen her gekommen, aber Dostojewski ärgerte sich trotzdem.
    Zum einen war es unbegreiflich, wie dieser Diener böser Geister sich so dicht an die Feuerstellung heranschleichen konnte. Wäre er zum Beispiel ein Zombie-Seemann gewesen, hätte er eine Matrosenmütze mit Schlangenbändern in den Schützengraben geworfen, und dann wäre es aus gewesen mit ihm.
    Zum anderen fiel Dostojewski ein, was der Leiter der Zollstelle über das Gift erzählt hatte, das sie am Fenster nach Europa abgefangen hatten (er hatte sich wie viele der Zollbeamten in seiner Jugend mit Dzogchen * beschäftigt, aber im reifen Alter war er in den Schoß der Kirche zurückgekehrt).
    »Der Markt hat alles Menschliche im Leben getötet«, klagte der Zollamtsleiter immer. »Vor der Reform gab es immer tolles Gras … Ganz verschiedenes. Grünes kirgisisches. Manchmal auch salatgrünes usbekisches. Oder ganz dunkles, aus dem Kaukasus. Aus dem Fernen Osten bekamen wir auch welches, gelblich und mild. Und alle machten auf ihre Weise high, leicht wie Champagner. Kultiviert und heiter. Und jetzt? In Amsterdam bauen sie Gras mit Hydrokultur an. Aber was kriegen wir hier in Petersburg? Wenn die Leute das wüssten, würde keiner mehr rauchen. Da hocken irgendwelche Gauner in einem zwielichtigen Keller und tunken Birkenzweige in einen Eimer mit synthetischem Cannabinol, und hinterher schneiden sie das Zeug klein und verkaufen es als holländische Auslese. Dieser Mist ist noch feucht und kriegt mit der Zeit einen weißlichen Belag, das sieht aus wie Schimmel. Nur dass es kein Schimmel ist, sondern getrocknete Chemie. Das Zeug macht high wie echtes Hydrokultur-Gras. Aber es ist leer wie das Wesen des Geistes im tibetischen Satanismus. Und was für einen gesundheitlichen Schaden es anrichtet, weiß erst recht kein Mensch …«
    Nun stand dieser Satanismus in höchsteigener Person direkt vor dem Schützengraben und starrte ihm dreist in die Augen.
    »Was machst du hier, Schielauge?«, fragte Dostojewski.
    Der Lama gab keine Antwort, er wich nur ein Stück zurück, und sein Blick wurde wachsam.
    »Na warte!«, brummte Dostojewski und sprang mit einem Satz aus dem Schützengraben.
    Zu einem richtigen Handgemenge kam es allerdings

Weitere Kostenlose Bücher