Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
stehen, uns an eine Beschreibung zu wagen, dergleichen bisher weder in Prosa noch Versen versucht worden ist, so halten wir es für nötig, den Beistand eines gewissen geistigen Wesens anzurufen, welches, wie wir zuversichtlich hoffen, uns bei dieser Gelegenheit seine gütige Hilfe nicht versagen wird.
[168] Sagt also, ihr Grazien, ihr, die ihr den himmlischen Sitz, Seraphinens Angesicht bewohnt, denn von göttlicher Abkunft seid ihr wirklich und umschwebt unaufhörlich ihre Gegenwart und verstehet alle die Künste durch himmlische Reize zu bezaubern; sagt, welches waren die Waffen, wodurch Jones, unser Held, jetzt überwunden und gefangen genommen wurde?
Zuerst flogen fort von zwei lieblich blauen Augen, deren glänzende Kreise beim Abfeuern zuckende Blitze verschossen, zwei wohlgezielte Blicke. Aber Heil für unsern Helden, sie prallten ab von ihrem Ziele und fielen auf ein mächtiges Stück Rindfleisch, das er auf seinen Teller holte, und so brach sich ihre Gewalt, ohne weiteres Unheil zu stiften. Die schöne Kriegerin merkte bald, daß sie ihres Endzwecks verfehlt, und zog gleich darauf aus ihrem schönen Busen einen tödlichen Seufzer hervor, einen Seufzer, den niemand ohne empfindsames Gefühl hätte hören können, und der Kraft genug hatte, ein halb Dutzend gepuderter süßen Herrn zu Boden zu strecken, so süß, so lind, so zärtlich, daß die davon säuselnde Luft ihren Weg zum Herzen unsres Helden hätte finden müssen, wäre sie nicht durch das laute Gesprudel des kräftigen Malzsaftes, den sich eben Jones aus einer frischgeöffneten Flasche ins Glas goß, von seinen Ohren abgetrieben worden. Noch versuchte sie der andern Waffen viele, aber die Göttin des Essens (wenn es eine solche Gottheit gibt, wie ich nicht so ganz zuversichtlich behaupten mag) beschützte ihren Verehrer: oder vielleicht ist es nicht
dignus vindice nodus,
und gegenwärtige Sicherheit des Herrn Jones mag sich wohl auf eine mehr natürliche Weise erklären lassen; denn so wie Liebe sehr oft vorm Anfall des Hungers schützt, so mag auch wohl in einigen Fällen der Hunger uns gegen die Liebe bewahren.
Die Schöne, welche ihre häufigen, fruchtlosen Bemühungen nicht wenig ärgerten, entschloß sich zu einem kurzen Waffenstillstand. Diese Zeit wandte sie an, jedes Werkzeug des Liebeskrieges in Bereitschaft zu setzen, um nach vollendeter Mahlzeit den Angriff zu erneuern.
Kaum war auch das Tischtuch abgenommen, als sie ihre Operationen von neuem begann. Zuerst, nachdem sie ihr rechtes Auge seitwärts gegen Herrn Jones gerichtet, schoß sie aus dessen Winkel einen scharfdurchdringenden Seitenblick, der, obgleich ein großer Teil seiner Gewalt verloren ging, bevor er unsern Helden erreichte, doch nicht ganz und gar ohne Wirkung zerflatterte. Da die Schöne dies merkte, zog sie plötzlich ihre Augen zurück und richtete solche bis zum niedrigsten Grade, so, als ob sie das, was sie gethan hatte, bereute, obgleich sie hierdurch bloß zur Absicht hatte, seine Wachsamkeit einzuschläfern, oder vielmehr ihn sicher zu machen, daß er seine Augen öffne, wodurch sie willens war, sein Herz zu überrumpeln. Und [169] nunmehr, indem sie die glanzvollen Sterne ihrer Augen sanft emporhob, welche schon anfingen, einigen Eindruck auf Jones zu machen, brannte sie eine Generalsalve von kleineren Reizen von allen Mienen und Zügen ihres ganzen Gesichts mit einem Lächeln ab. Nicht war's ein Lächeln von Scherz oder von Freude, sondern ein Lächeln empfindsamen Gefühls, dergleichen die meisten Damen beständig zu ihren Befehlen bereit haben, und das ihnen zu gleicher Zeit dient, ihr sanftes Gemüt, ihre schönen Grübchen in den Wangen und ihre weißen Zähne bemerken zu lassen. Dieses Lächeln traf unsern Helden geradeswegs in die Augen, und er ward durch seine Gewalt unmittelbar wankend gemacht. Nunmehr begann er die Absicht des Feindes zu merken und wirklich zu fühlen, daß ihm solche gelinge. Darauf ward von beiden Teilen beliebt, eine Kapitulation zu bewirken, während welcher Zeit die schlaue Schöne ihren Angriff so unbemerkt und listig fortsetzte, daß sie das Herz unsres Helden beinahe völlig eingenommen hatte, ehe sie die Feindseligkeiten von neuem wieder anzufangen schien. Die Wahrheit zu bekennen, fürchte ich, machte Herr Jones nur eine schwache Verteidigung und übergab verräterischerweise die Garnison der Festung zu Kriegsgefangenen, ohne die pflichtmäßige Treue gehörig zu erwägen, die er seiner schönen Alliierten, der
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