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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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einem ungeübtern Physiognomisten hätten übersehen werden können, doch seine Gutmütigkeit so deutlich auf allen seinen Mienen gemalt war, daß sich fast niemand darin irren konnte, der ihn nur einmal ansah.
    Vielleicht lag es ebensoviel hierin, als in seiner sehr feinen blühenden Farbe, die seinem Gesichte eine Delikatesse gab, welche sich fast nicht beschreiben läßt und ihm fast ein zu weibliches Ansehen verliehen hätte, wenn solche nicht mit einem sehr männlichen Wuchs und Körperbau verknüpft gewesen wäre, welcher letztere ebensoviel von einem Herkules, als die erste von einem Adonis hatte. Dabei war er gewandt, artig, munter und aufgeräumt und von einem so lebhaften Witze, daß er eine jede Unterredung beseelte, woran er Anteil nahm.
    Wenn der Leser alle diese verschiedenen Reize, die in unserm Helden vereinigt waren, gehörig überlegt und dabei zugleich die eben erhaltenen Verbindlichkeiten bedenkt, welche Madame Waters ihm zu verdanken hatte, so würde es mehr Ziererei als Aufrichtigkeit verraten, wenn man deswegen schlecht von ihr denken wollte, weil sie eine sehr gute Meinung von ihm faßte.
    Mit was für Tadel man sie aber zu belegen geneigt sein mag, meine Pflicht ist, die Sachen so zu erzählen, wie sie sich der That und Wahrheit nach verhalten. Madame Waters hatte, wie die Wahrheit zu sagen befiehlt, nicht nur eine gute Meinung von unserm Helden, sondern hatte auch für ihn eine sehr große Zuneigung. Ohne weitere Zurückhaltung geradeheraus zu sagen, sie war in ihn verliebt, nach dem jetzt allgemein angenommenen Sinne der Redensart, nach welchem das Wort »verliebt sein« ohne Unterschied von jedem Verlangen nach einem gewünschten Gegenstande gebraucht wird, bestehe es in Hunger oder Lecker, und eigentlich den Vorzug bezeichnet, den wir einer Art von Leibesnahrung vor der andern geben.
    Ob aber gleich die Liebe zu allen diesen verschiedenen Gegenständen in allen Fällen eine und dieselbe sein mag, so muß man doch zugestehen, daß ihre Wirkungen verschieden sind. Denn so groß [167] auch unsre Liebe zu einem vortrefflichen Stück Rindfleisch oder einer Flasche Burgunder, zu einer Muschrose oder zu einer Cremonesergeige sein mag, so suchen wir doch niemals, weder durch Lächeln noch Liebäugeln, noch Schmücken und Putzen unsrer Person, noch durch Schmeichelei, noch durch andre Künste und Griffe die Gegenliebe des besagten Stücks Rindfleisch u.s.w. zu erwerben und zu gewinnen. Seufzen mögen wir darnach wohl zuweilen, das geschieht aber gewöhnlich in der Abwesenheit und nicht in der Gegenwart dieser geliebten Gegenstände. Sonst möchten wir uns wohl mit ebenso gutem Recht über ihre Undankbarkeit beklagen, wie ehemals Pasiphae mit ihrem Stier that, den sie durch alle Koketterien zu reizen suchte, welche mit gutem Erfolg in den Besuchzimmern, bei den verständigern sowohl als zärtlichern Herzen der besuchenden feinen jungen Herren, angewendet werden.
    Bei der Liebe, welche zwischen zwei Personen von einerlei Gattung, aber von verschiedenem Geschlechte ihr Wesen treibt, ergibt sich gerade das Gegenteil. In diesem Falle sind wir nicht so bald verliebt geworden, als es unsre hauptsächlichste Sorge wird, die Zuneigung des geliebten Gegenstandes zu gewinnen. Denn zu was andern Endzwecken würde wohl unsre Jugend in allen den Künsten, sich angenehm zu machen, so sorgfältig unterrichtet? Wäre es nicht in Rücksicht auf diese Liebe, so zweifle ich sehr, ob irgend eins von den Gewerben, womit es auf das Zieren und Schmücken menschlicher Personen angesehen ist, seinen Mann oder seine Frau ernähren würde. Ja sogar diese großen Verfeinerer unsrer Sitten, welche nach einiger Meinung uns dasjenige lehren, was uns hauptsächlich von unvernünftigen Geschöpfen unterscheidet, sogar die Tanzmeister, möchten nicht einmal in der menschlichen Gesellschaft mehr ihre Stätte füllen. Kurz, alle die Grazien, welche junge Damen (und selbst junge Herrn nicht ausgenommen) von andern lernen, und die mancherlei Kunstverbesserungen, welche sie vermittelst des Spiegels ihren eignen natürlichen Annehmlichkeiten geben, sind die eigentlichen wahren
Spicula et faces amoris,
von welchen Ovid so mancherlei zu sagen weiß, oder, wie man solche oft in unsrer Sprache zu nennen pflegt, das ganze schwere Geschütz der Liebe.
    Nun hatten sich Madame Waters und unser Held kaum bei einander niedergesetzt, als die erste dieses schwere Geschütz auf den letzteren loszubrennen begann. Jedoch, da wir hier im Begriffe

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