Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
seiner Erzählung abhängen. Hierbei bezeigte der arme Kerl augenblicklich eine so große Bereitwilligkeit, daß Jones völlig überzeugt wurde, er habe ihm die Wahrheit gesagt, und nun anfing, Bewegungen des Mitleids für ihn zu fühlen. Er stellte dem Mann die ungeladene Pistole wieder zu und gab ihm den Rat, auf redlichere Mittel zu denken, wie er seiner Not abhelfen könne; zugleich schenkte er ihm ein paar Guineen zur unmittelbaren Hilfe für seine Frau und Kinder, wobei er hinzufügte, er wünschte seinetwegen, daß er mehr bei sich hätte, die hundert Pfund aber, wovon die Rede gewesen, gehörten nicht ihm selbst zu.
Unsre Leser werden vermutlich in ihren Meinungen über diese Handlungsweise geteilt sein; einige werden sie vielleicht als eine außerordentlich menschenfreundliche That billigen und loben, während andere von strengerer Gemütsart solche als einen Mangel an Achtung gegen diejenige Gerechtigkeit betrachten, welche jedermann seinem Vaterlande schuldig ist. Rebhuhn betrachtete sie gewiß in diesem Lichte, denn er bezeigte bei dieser Gelegenheit ein großes Mißvergnügen, führte ein altes Sprüchwort an und sagte: es würde ihn nicht wundern, wenn sie der Spitzbube von neuem anfiele, ehe sie noch nach London gelangt wären.
Der Straßenräuber strömte über von Dank und Erkenntlichkeit. Er vergoß wirklich Thränen oder stellte sich, als ob er welche vergösse. Er beteuerte, daß er unverweilt nach Hause kehren und eine [38] solche Uebertretung niemals wieder begehen wolle. Ob er Wort gehalten hat oder nicht? das zeigt sich vielleicht in der Folge.
Nachdem unsre Reisenden wieder ihre Pferde bestiegen hatten, gelangten sie ohne fernern Unfall in der Stadt an. Unterwegs fielen zwischen Jones und Rebhuhn allerlei angenehme Gespräche über ihr letztes Abenteuer vor. Jones bezeigte in denselben ein großes Mitleiden mit solchen Straßenräubern, welche gleichsam durch unvermeidliche Not zu einem so gesetzwidrigen Gewerbe getrieben würden, welches ihnen gemeiniglich ein schmähliches Ende zuzieht. »Ich meine,« sagte er, »bloß solche, deren höchstes Verbrechen sich nicht weiter erstreckt als auf Diebstahl, und welche sich keiner Grausamkeit oder Menschenbeschädigung schuldig machen. Dies ist ein Umstand, welcher, zur Ehre meines Vaterlandes muß ich's sagen, die Straßenräuber in England von den Straßenräubern aller übrigen Nationen unterscheidet, denn bei allen übrigen ist der Mord vom Straßenraube fast allemal unzertrennlich.«
»Ganz richtig,« antwortete Rebhuhn, »besser ist's, einem Menschen sein Geld nehmen als sein Leben. Inzwischen ist's doch sehr hart für ehrliche Leute, daß sie nicht in ihren Geschäften reisen können, ohne vor diesen Schurken in Gefahr zu stehen. Und das ist doch wahr, daß es besser wäre, wenn alle die Gaudiebe aufgehängt wären und so die Wege rein würden, als daß nur ein einziger ehrlicher Mann darunter leidet. Ich für mein Teil freilich! ich möchte nicht gerne das Blut von einem einzigen unter ihnen auf meinem eignen Gewissen haben; aber der hohen Obrigkeit käm's doch eigentlich zu, sie alle mit einander aufknüpfen zu lassen. Was für ein Recht hat irgend ein Mensch, mir einen Groschen abzunehmen, den ich ihm nicht geben will? Ist in einem solchen Manne wohl die geringste Ehrlichkeit?«
»Nein, gewiß nicht,« versetzte Jones, »ebensowenig als in demjenigen, welcher aus eines andern Mannes Stalle Pferde nimmt oder der das Geld zu seinem eignen Gebrauche verwendet, welches er gefunden hat, wenn er seinen rechten Herrn kennt.«
Diese Winke stopften dem Rebhuhn das Maul und er öffnete solches nicht eher wieder, bis er sich gegen einige satirische Scherze des Herrn Jones über seine Zaghaftigkeit mit der Ueberlegenheit des Schießgewehrs zu rechtfertigen suchte und dabei sagte: »Tausend nackte Menschen sind nichts gegen eine Pistole; denn es ist wohl wahr, bei jedem Schuß kann sie nur einen töten; aber wer ist davor sicher, daß man dieser eine nicht selbst sei.«
[39] Dreizehntes Buch.
Enthält einen Zeitraum von zwölf Tagen.
Erstes Kapitel.
Eine Anrufung.
Komm, strahlende Liebe des hohen Ruhmes, komm, begeistere meine glühende Brust! Nicht du, dich ruf' ich nicht an, die du auf emporsteigenden Wogen von Blut und Thränen den Helden hinträgst zur glänzenden Siegespforte, indessen die Seufzer von Millionen Elendgewordenen seine ausgebreiteten Segel schwellen! Nein, nur dich, schönes, holdes Mädchen, von Mnesis, der
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