Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Barmherzigkeit, die ich mit Ihnen habe, wenn ich nach Hause gehe.« – »Ich kenne nur eine Barmherzigkeit, die ebenso groß wäre,« rief Jones, »und die besteht darin, wenn Sie mir erlauben wollten, daß ich Sie dahin begleite.« – »Wahrhaftig,« antwortete die Dame, »Sie haben eine ganz sonderbare Meinung von mir, wenn Sie sich einbilden, ich werde Sie nach einer solchen Bekanntschaft und bei dieser Nachtzeit über meine Schwelle kommen lassen. Ich glaube gar, Sie leihen der Freundschaft, die ich für meine Kousine gezeigt habe, einen andern Beweggrund? Gestehen Sie mir ganz ehrlich, halten Sie nicht diese von mir veranlaßte Unterredung für wenig besser, als eine ordentlich bestellte, [70] verliebte Zusammenkunft? Sind Sie gewohnt, Herr Jones, solche schnelle Eroberungen zu machen?« – »Ich bin nicht gewohnt, Madame,« sagte Jones, »mich so schnellen Eroberungen zu ergeben! Weil Sie aber mein Herz durch Ueberraschung gefangen genommen haben, so hat der Ueberrest meines Körpers ein Recht nachzufolgen. Sie müssen mir daher verzeihen, wenn ich mich entschließe, Ihnen allenthalben zu folgen, wohin Sie gehen.« Er begleitete diese Worte mit einigen dazu passenden Handlungen, worauf ihm die Dame nach einem sanften Verweise und der Anmerkung, die Leute möchten ihre Vertraulichkeit beobachten, sagte, sie ginge zu einer guten Freundin zum Abendessen, und hoffte doch nicht, daß er ihr dahin folgen wollte. »Denn wenn Sie's thäten,« sagte sie, »würde man mich für ein unerklärbares Geschöpf halten, obgleich meine Freundin eben nicht tadelsüchtig ist. Indessen hoff' ich nicht, daß Sie mir folgen wollen. Wahrhaftig, ich – ich werde nicht wissen, was ich sagen soll, wenn Sie kommen.«
Den Augenblick hierauf verließ die Dame die Maskerade, und Jones, ungeachtet des strengen Verbots, welches ihm gegeben worden, wagte es ihr zu folgen. Er geriet hier wieder in eben die Klemme, der wir vorher erwähnt haben, nämlich es fehlte ihm der halbe Gulden für den Sänftenträger, und er konnte sich nicht, wie vorher, durch Borgen herausziehen. Er stapfte also ganz kecklich hinter der Sänfte her, worin sich die Dame tragen ließ, und ein großes Hussa! von allen Trägern auf dem Platze folgte ihm nach, welche ganz klüglich die beste Sorge tragen, das Zufußegehen herrschaftlicher Personen verächtlich zu machen. Zum Glück waren die Sippschaften, welche vorm Opernhause aufpassen, zu geschäftig, um ihre Plätze zu verlassen, und weil es zu spät in der Nacht war, um noch viele von ihren Brüdern in den Gassen anzutreffen, so kam er noch so ziemlich ungehudelt durch, in einer Kleidung, die ihm zu einer andern Stunde gewiß einen Haufen Pöbel auf die Fersen gezogen haben würde.
Die Dame ward in einer nicht weit vom Schlosse gelegenen Gasse niedergesetzt, und als die Hausthüre alsobald geöffnet worden, ward sie hineingetragen, da dann Jones ohne alle Zeremonien hinter ihr hineinging.
Jones und seine Gefährtin befanden sich nun zusammen in einem sehr hübsch möblierten und gewärmten Zimmer, als das Frauenzimmer noch immer mit ihrer Maskeradenstimme zu ihm sagte, sie wundere sich über ihre Freundin, die platterdings ihre Verabredung vergessen haben müßte; und nachdem sie hierüber ihren großen Verdruß ausgeschüttet hatte, äußerte sie plötzlich einige Besorgnis wegen Jones und fragte ihn, was die Welt davon denken [71] würde, daß sie beide zu dieser Nachtzeit in einem Hause allein zusammengewesen wären? Allein, anstatt eine befriedigende Antwort auf eine so wichtige Frage zu geben, begann Jones bei der Dame sehr zudringlich zu werden, daß sie die Maske abthun möchte, und als er das endlich erhalten hatte, so erschien nicht Madame Fitz Patrick, sondern die hochgeborene Frau von Bellaston in höchsteigner Person.
Es würde Langeweile machen, wenn ich ihre Konversation beschreiben wollte, weil solche nichts weiter als gemeine und gewöhnliche Sachen enthielt, und von zwei bis sechs Uhr des Morgens dauerte. Es ist genug, wenn ich nur alles dasjenige davon mitteile, was diese Geschichte wesentlich angeht; und dies war ein Versprechen, daß die Dame sich bemühen wollte, Sophie ausfindig zu machen und ihm innerhalb der nächsten Tage eine Unterredung mit ihr zu verschaffen unter der Bedingung, daß er alsdann Abschied von ihr nehmen sollte. Als dieser Punkt völlig aufs reine gebracht und eine zweite Zusammenkunft des Abends an eben dem Orte verabredet worden, trennten sie sich; die Dame begab
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