Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Greenleaf getragen hatte. Dickie hatte lange, knochige Finger, ähnlich wie seine eigenen, dachte Tom.
»Übrigens - Ihr Vater machte mit mir einen Rundgang durch die Burke-Greenleaf-Werft, bevor ich abfuhr«, sagte Tom. »Er hat mir erzählt, daß er eine ganze Menge verändert hätte, seit Sie zum letzten Male da waren. Ich war ziemlich beeindruckt.«
»Vermutlich hat er Ihnen auch eine Stellung angeboten. Immer auf Suche nach hoffnungsvollen jungen Leuten.« Dickie drehte seine Gabel um und um und schob sich einen ganz beachtlichen Klumpen Spaghetti in den Mund.
»Nein, das hat er nicht.« Schlechter hätte es mit diesem Essen gar nicht gehen können, dachte Tom. Hatte Mr. Greenleaf etwa Dickie mitgeteilt, Tom käme ihm eine Vorlesung darüber halten, warum er nach Hause zu gehen hätte? Oder war Dickie einfach bloß schlechter Laune? Jedenfalls hatte Dickie sich verändert, seit Tom zum letzten Male mit ihm zusammen war.
Dickie schleppte eine spiegelblanke Espressomaschine heran, mehr als einen halben Meter hoch, und stieß den Stöpsel in eine Steckdose auf der Terrasse. In wenigen Augenblicken hatten sie vier kleine Täßchen Kaffee, eins davon brachte Marge dem Mädchen in die Küche.
»In welchem Hotel sind Sie abgestiegen?« fragte Marge Tom.
Tom lächelte. »Bis jetzt habe ich noch keines gefunden. Welches können Sie empfehlen?«
»Das beste ist das ›Miramare‹. Es liegt gleich neben dem ›Giorgio‹. Das ›Giorgio‹ ist das einzige Hotel, das es außerdem noch gibt, aber . . .«
»Man sagt, im ›Giorgio‹ gäbe es Untermieter in den Betten«, warf Dickie dazwischen.
»Ach was, nur Fliegen gibt es. Das ›Giorgio‹ ist billig«, sagte Marge ernsthaft, »aber die Bedienung . . .«
»Gibt es da nicht«, vervollständigte Dickie den Satz.
»Du hast prächtige Laune heute, wie?« sagte Marge zu Dickie und schnippte ein Krümchen Gorgonzola zu ihm hinüber.
»Wenn es so ist, werde ich es mit dem ›Miramare‹ probieren«, sagte Tom und erhob sich. »Ich muß wohl jetzt gehen.«
Keiner von beiden drängte ihn, zu bleiben. Dickie brachte ihn ans Tor. Marge blieb noch. Tom fragte sich, ob Dickie und Marge ein Verhältnis miteinander hatten, so eine der berühmten faute-de-mieux- Affären, die ja nicht unbedingt äußerlich sichtbar sein mußte, weil keiner der beiden besonders leidenschaftlich veranlagt war. Marge war in Dickie verliebt, dachte Tom, aber Dickie - hätte sie als alte italienische Jungfer von fünfzig dagesessen, Dickie hätte sich ihr gegenüber nicht indifferenter zeigen können.
»Sehr gern möchte ich mal ein paar von Ihren Gemälden sehen«, sagte Tom zu Dickie.
»Gern. Na, ich denke, wir werden uns noch treffen, wenn Sie in der Gegend sind«, und Tom dachte, das hat er nur gesagt, weil ihm eingefallen ist, daß ich den Bademantel und die Strümpfe für ihn habe.
»Vielen Dank für das gute Mittagessen. Auf Wiedersehen, Dickie.«
»Auf Wiedersehen.«
Das eiserne Tor fiel ins Schloß.
8
Tom nahm im »Miramare« ein Zimmer. Es war vier Uhr geworden, bis er seine Koffer vom Postamt herangeschafft hatte, und er besaß kaum noch die Kraft, seinen besten Anzug auf den Bügel zu hängen, ehe er auf das Bett fiel. Unter seinem Fenster schnatterten einige Italienerjungen, ihre Stimmen drangen so deutlich zu ihm herauf, als wären sie bei ihm im Zimmer, und das freche, gackernde Lachen des einen, das immer und immer wieder aus dem Wortschwall hervorbrach, zerrte an Toms Nerven. Er malte sich aus, daß sie seine Expedition zum Signor Greenleaf diskutierten und wenig schmeichelhafte Spekulationen darüber anstellten, was nun wohl weiter geschehen würde.
Was wollte er hier? Er hatte hier keine Freunde und er verstand die Sprache nicht. Wenn er nun krank würde? Wer sollte sich um ihn kümmern?
Tom stand auf, er wußte, gleich mußte er sich übergeben, aber er bewegte sich trotzdem nur langsam, denn er kannte das, diese Übelkeit, und er wußte, daß er noch Zeit genug hatte, ins Badezimmer zu gehen. Im Badezimmer wurde er sein Mittagessen los und auch den Fisch von Neapel, dachte er. Er ging wieder in sein Bett und schlief sofort ein.
Als er aufwachte, zerschlagen und schwach, schien immer noch die Sonne, und auf seiner neuen Uhr war es halb sechs. Er ging ans Fenster und sah hinaus, unbewußt hielt er unter den rosa und weißen Häusern, die den steilen Abhang vor ihm tüpfelten, Ausschau nach Dickies großem Hause mit der vorspringenden Terrasse. Er entdeckte die robuste
Weitere Kostenlose Bücher