Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
sollten sie niemals ankommen. Dickie und Marge gingen voraus, nahmen die endlosen Steintreppen langsam und gleichmäßig, immer zwei auf einmal. Die Sonne hatte Tom fertiggemacht. Die Muskeln seiner Beine zitterten auf den ebenen Strecken. Seine Schultern färbten sich bereits rosa, er hatte sein Hemd angezogen als Schutz vor den Sonnenstrahlen, aber er spürte, wie die Sonne durch sein Haar auf den Kopf brannte, ihm wurde schwindlig und übel.
»Ist es schlimm?« fragte Marge, kein bißchen außer Atem. »Sie werden sich daran gewöhnen, wenn Sie hierbleiben. Sie hätten das hier sehen sollen während der Hitzewelle im Juli!«
Tom hatte nicht den Atem für eine Entgegnung.
Eine Viertelstunde später fühlte er sich wohler. Er hatte geduscht und saß nun in einem bequemen Korbsessel auf Dickies Terrasse, einen Martini in der Hand. Auf Vorschlag von Marge hatte er seine Badehose wieder angezogen, darüber sein Hemd. Der Tisch auf der Terrasse war für drei gedeckt worden, während er unter der Brause stand, und Marge war jetzt in der Küche und sprach italienisch mit dem Dienstmädchen. Tom fragte sich, ob Marge wohl hier wohnte. Das Haus war ohne Zweifel groß genug. Es war sparsam möbliert, soweit Tom sehen konnte, in einer angenehmen Mischung aus italienischer Antike und amerikanischer Boheme. Er hatte in der Diele zwei Originalzeichnungen von Picasso entdeckt.
Marge kam mit ihrem Martini auf die Terrasse heraus. »Da drüben, das ist mein Haus.« Sie zeigte hinüber. »Sehen Sie es? Das quadratische weiße mit dem Dach, das von dunklerem Rot ist als die daneben.«
Es war hoffnungslos, es aus den vielen Häusern herausfinden zu wollen, aber Tom tat, als sähe er es. »Sind Sie schon lange hier?«
»Ein Jahr. Den ganzen letzten Winter über, und das war ein Winter! Jeden Tag bis auf einen Regen, und das drei Monate lang!«
»Nicht möglich!«
»Hm-m.« Marge nippte an ihrem Martini und blickte zufrieden über ihr kleines Dorf. Auch sie war wieder in ihrem Badeanzug, einem tomatenroten Badeanzug, und darüber trug sie ein gestreiftes Hemd. Sie sah nicht schlecht aus, taxierte Tom, und sie hatte sogar eine gute Figur, wenn man den kräftigen Typ mochte. Tom seinerseits mochte ihn nicht.
»Dickie hat ein Schiff, soviel ich weiß«, sagte Tom.
»Ja, die ›Pipi‹. Abkürzung für ›Pipistrello‹. Möchten Sie sie sehen?«
Sie zeigte auf ein weiteres unkenntliches Etwas drunten an der kleinen Mole, die sie von der Ecke der Terrasse aus sehen konnten. Die Boote sahen sich alle ziemlich ähnlich, aber Marge sagte, Dickies Boot sei größer als die meisten anderen und hätte zwei Masten.
Dickie kam heraus und goß sich aus dem Mixer auf dem Tisch einen Cocktail ein. Er trug schlecht gebügelte weiße Hosen und ein Leinenhemd von der Farbe seiner Haut. »Leider gibt es kein Eis. Ich besitze keinen Kühlschrank.«
Tom lächelte. »Ich habe einen Bademantel für Sie mitgebracht. Ihre Mutter sagte, Sie hätten darum gebeten. Außerdem Socken.«
»Kennen Sie meine Mutter?«
»Ich traf zufällig Ihren Vater, kurz bevor ich New York verließ, und er hat mich zum Dinner zu sich eingeladen.«
»So? Wie ging es meiner Mutter?«
»Sie war ganz munter an dem Abend. Ich würde sagen, sie wird leicht müde.«
Dickie nickte. »Ich bekam diese Woche einen Brief, in dem stand, es ginge ihr wieder besser. Wenigstens hat sie zur Zeit keine Krise, nicht wahr?«
»Das glaube ich nicht. Ich denke, vor ein paar Wochen war Ihr Vater mehr in Sorge.« Tom zögerte. »Er ist auch ein bißchen besorgt darüber, daß Sie gar nicht nach Hause kommen wollen.«
»Herbert ist stets um irgend etwas besorgt«, sagte Dickie.
Marge und das Dienstmädchen kamen aus der Küche mit einer Platte dampfender Spaghetti, einer großen Schüssel Salat und einem Brotteller. Dickie und Marge begannen ein Gespräch über irgendein Restaurant unten am Strand, das sich vergrößerte. Der Besitzer verbreiterte die Terrasse, damit die Leute Platz hatten zum Tanzen. Sie besprachen es in allen Einzelheiten, gemächlich, so wie Kleinstädter, die sich für die geringfügigsten Veränderungen in der Nachbarschaft interessieren. Nichts, was Tom dazu hätte beisteuern können. Er vertrieb sich die Zeit damit, Dickies Ringe zu examinieren. Sie gefielen ihm beide: ein großer, rechteckiger, grüner Stein in Goldfassung am Mittelfinger der rechten Hand, und am kleinen Finger der Linken ein Siegelring, größer und reicher verziert als der Siegelring, den Mr.
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