Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
denke, damit sollten wir zwei uns mal ein bißchen die Zeit vertreiben, was meinen Sie?«
»Fünfhundert!« sagte Dickie, es klang, als hätte er sein Leben lang noch nicht so viel Geld auf einem Haufen gesehen. »Dafür könnten wir einen kleinen Wagen kriegen!«
Tom gab keinen Kommentar zu der Wagenidee. So stellte er sich den Zeitvertreib nicht vor. Er wollte nach Paris fliegen.
Marge kam wieder, sah er.
Am nächsten Morgen zog er ein.
Dickie und Ermelinda hatten einen Schrank und Stühle in eins der oberen Zimmer gerückt, und Dickie hatte ein paar Reproduktionen von Mosaikporträts aus der St. Markus-Kathedrale an die Wände gepinnt. Tom half Dickie, das schmale Eisenbett aus dem Mädchenzimmer nach oben zu tragen. Es war noch nicht zwölf, als sie es geschafft hatten, leichtbeschwingt von den Frascati, die sie während der Arbeit getrunken hatten.
»Wollen wir noch nach Neapel fahren?« fragte Tom.
»Aber sicher.« Dickie sah auf die Uhr. »es ist erst dreiviertel zwölf. Wir können den Zwölfuhrbus noch schaffen.«
Sie nahmen nichts weiter mit als ihre Jacken und Toms Scheckheft. Der Bus kam gerade, als sie am Postamt eintrafen. Tom und Dickie standen an der Tür und ließen die Leute aussteigen; dann zog Dickie sich hoch, genau vor die Nase eines jungen Mannes mit rotem Haar und einem schreienden Sporthemd - ein Amerikaner.
»Dickie!«
»Freddie!« Dickies Stimme überschlug sich. »Was machst du denn hier?«
»Komme dich besuchen! Und die Cecchis. Ich wohne ein paar Tage bei ihnen.«
»Ch´elegante! Ich fahre nach Neapel mit einem Freund. Tom?« Dickie winkte Tom heran und machte sie miteinander bekannt.
Der Amerikaner hieß Freddie Miles. Tom fand ihn gräßlich. Tom verabscheute rotes Haar, ganz besonders so karottenrotes Haar über weißer Sommersprossenhaut. Freddie hatte große rotbraune Augen, die in seinem Schädel herumkollerten, als schielte er, vielleicht war er aber auch nur einer von den Menschen, die einen nie ansehen, wenn man mit ihnen spricht. Außerdem war er zu dick. Tom wandte sich ab und wartete, daß Dickie die Unterhaltung beendete. Sie hielten bereits den Bus auf, stellte er fest. Dickie und Freddie sprachen über Skilaufen, sie verabredeten sich für irgendwann im Dezember in einer Stadt, von der Tom noch nie gehört hatte.
»Bis zum zweiten werden etwa fünfzehn von uns in Cortina sein«, sagte Freddie, »eine richtige Pfundstruppe wie voriges Jahr! Drei Wochen, wenn dein Geldbeutel das aushält!«
»Na, ob wir´s aushalten!« sagte Dickie. »Bis heute abend, Fred!«
Tom stieg hinter Dickie in den Bus ein. Es war kein Sitzplatz mehr frei, und sie standen eingekeilt zwischen einem dürren, schwitzenden Mann, der stank, und ein paar alten Bauersfrauen, die noch mehr stanken. Als sie eben aus dem Dorfe hinausfuhren, fiel Dickie ein, daß Marge wie gewöhnlich zum Mittagessen kommen würde, weil sie gestern angenommen hatten, durch Toms Umzug würde der Neapelausflug ins Wasser fallen. Dickie schrie dem Fahrer zu, er solle halten. Mit kreischenden Bremsen und einem Ruck, der alle Stehenden durcheinanderpurzeln ließ, stoppte der Bus, und Dickie streckte den Kopf zum Fenster heraus und schrie: »Gino! Gino!«
Ein kleiner Junge von der Straße kam gelaufen, um den Hundertlireschein zu packen, den Dickie ihm entgegenhielt. Dickie sagte ihm etwas Italienisches, und der Junge sagte: »Subito, signore!« und sauste davon.
Dickie dankte dem Fahrer, und der Bus setzte sich wieder in Bewegung. »Ich habe ihm gesagt, er soll Marge benachrichtigen, daß wir heute abend wieder da sind, allerdings wohl ziemlich spät«, sagte Dickie.
»Gut.«
Der Bus entließ sie auf einem weiten, lärmenden Platz in Neapel, und plötzlich waren sie umringt von Karren mit Trauben, Feigen, Süßigkeiten und Wassermelonen, und Halbwüchsige mit Füllfederhaltern und Spielzeug zum Aufziehen schrien auf sie ein. Für Dickie machten sie Platz.
»Ich weiß, wo man gut zu Mittag essen kann«, sagte Dickie. »Eine echte neapolitanische Pizzeria. Mögen Sie Pizza?«
»Ja.«
Die Pizzeria lag in einem Gäßchen, das zu eng und zu steil war für Autos. Perlenschnüre hingen vor dem Eingang, eine Karaffe Wein stand auf jedem Tisch, und es waren überhaupt nur sechs Tische da, es war genau das Lokal, in dem man stundenlang sitzen und Wein trinken konnte, ohne gestört zu werden. Sie saßen dort bis fünf Uhr, dann sagte Dickie, es sei Zeit, sich zur Galleria aufzumachen. Dickie entschuldigte sich, daß er
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