Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Dickie immer einen jungen Mann gesehen, der nicht gerade ein großes Licht war und der die Zeit hauptsächlich mit Spielereien hinbrachte. Vieleicht war dieser Eindruck falsch. Kein falscher Eindruck war es jedenfalls, daß Dickie zur Zeit an Langeweile litt und jemanden brauchte, der ihm zeigte, wie man sich angenehm die Zeit vertrieb.
»Was ist oben noch?« fragte Tom.
Das Obergeschoß war enttäuschend: Dickies Schlafzimmer in der Hausecke über der Terrasse war kahl und leer - ein Bett, eine Kommode und ein Schaukelstuhl standen verloren in all der Leere, das Bett war noch dazu schmal, kaum breiter als eine Pritsche. Die übrigen drei Zimmer der oberen Etage waren gar nicht oder unvollständig eingerichtet. In dem einen befanden sich nur Holzscheite und ein Berg Leinwandreste. Nirgends war eine Spur von Marge zu entdecken, am allerwenigsten in Dickies Schlafzimmer.
»Wie ist es, wollen Sie nicht einmal mit mir nach Neapel fahren?« fragte Tom. »Viel habe ich davon nicht gesehen auf der Herfahrt.«
»Gern«, sagte Dickie. »Marge und ich fahren am Sonnabend nachmittag hin. Wir essen fast jeden Sonnabend dort Abendbrot und genehmigen uns ein Taxi oder eine Carozza für die Rückfahrt. Kommen Sie mit.«
»Ich meinte eigentlich tagsüber oder an einem Wochentag, damit ich ein bißchen was zu sehen bekomme«, sagte Tom in der Hoffnung, Marge bei diesem Ausflug zu entgehen. »Oder malen Sie den ganzen Tag?«
»Nein. Montags, mittwochs und freitags gibt es einen Zwölfuhrbus. Wir könnten morgen fahren, wenn Sie Lust haben.«
»Schön«, sagte Tom, obwohl er noch nicht sicher war, ob Marge nicht doch noch zum Mitkommen aufgefordert wurde. »Ist Marge katholisch?« fragte er, als sie die Treppe hinabstiegen.
»Na, und wie! Sie ist vor etwa sechs Wochen von einem Italiener bekehrt worden, sie war schrecklich verknallt in ihn. Konnte der Mann reden! Er war monatelang hier und erholte sich von seinem Skiunfall. Marge tröstet sich über den Verlust ihres Edoardo hinweg, indem sie seinen Glauben umarmt.«
»Ich habe angenommen, Marge wäre in Sie verliebt.«
»In mich? Machen Sie keine Witze.«
Das Essen wartete schon, als sie auf die Terrasse hinaustraten. Es gab sogar ofenfrische Biskuits mit Butter, von Marge bereitet.
»Kennen Sie Vic Simmons in New York?« fragte Tom Dickie.
Vic betrieb in New York eine tolle Kneipe für Künstler, Schriftsteller und Tänzerinnen, aber Dickie wußte nichts von ihm. Tom erkundigte sich noch nach zwei oder drei anderen Leuten, ebenfalls ohne Erfolg.
Tom hoffte, Marge würde nach dem Kaffee gehen, aber sie ging nicht. Als sie die Terrasse für einen Augenblick verließ, sagte Tom: »Darf ich Sie für heute abend zum Essen in mein Hotel einladen?«
»Ja, danke. Um welche Zeit?«
»Halb acht vielleicht? Wir hätten dann noch Zeit für einen Cocktail, ja? - Schließlich ist es ja das Geld Ihres Vaters«, fügte Tom mit einem Lächeln hinzu.
Dickie lachte. »In Ordnung, Cocktails und eine gute Flasche Wein. Marge!« Eben kam Marge zurück. »Wir essen heute abend im ›Miramare‹, beste Empfehlung von Mr. Greenleaf senior!«
Marge kam also auch, und Tom konnte gar nichts dagegen machen. Schließlich war es ja das Geld von Dickies Vater.
Das Essen war gut an diesem Abend, aber Marges Gegenwart hinderte Tom daran, über all das zu sprechen, worüber er gerne gesprochen hätte, ja er war nicht einmal dazu aufgelegt, sehr witzig zu sein, wenn Marge dabeisaß. Marge kannte ein paar Leute, die im Speisesaal saßen, und nach dem Essen entschuldigte sie sich, nahm ihre Kaffeetasse mit hinüber zu einem anderen Tisch und setzte sich dort.
»Wie lange wollen Sie hierbleiben?« fragte Dickie.
»Na, mindestens eine Woche, möchte ich sagen«, erwiderte Tom.
»Ich meine nämlich . . .« Eine leichte Röte stieg in Dickies Gesicht; der Chianti hatte ihn in gute Laune versetzt. »Wenn Sie noch ein Weilchen hierbleiben wollen, warum sollten Sie nicht zu mir kommen? Es ist doch nicht nötig, daß Sie im Hotel wohnen, vorausgesetzt, daß Sie nicht das Hotel vorziehen.«
»Recht vielen Dank«, sagte Tom.
»Da steht noch ein Bett im Mädchenzimmer, Sie haben das Mädchenzimmer nicht gesehen. Ermelinda schläft nicht im Hause. Ich bin überzeugt, wir kommen zurecht mit den Möbeln, die noch herumstehen, wenn Sie meinen, daß Sie . . .«
»Aber gern. Nebenbei gesagt, Ihr Vater hat mir sechshundert Dollar gegeben für meine Auslagen, davon sind noch ungefähr fünfhundert übrig. Ich
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