Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
überhaupt jedermann im Ort sich um die Tischchen vor den Cafés versammeln, frisch geduscht und feingemacht, alles und jeden anstarrend, neugierig darauf, was die Stadt wohl an Unterhaltung zu bieten hätte, gerade bei Sonnenuntergang betrat Tom die Straßen der Stadt, er trug nur seine Badehose und die Sandalen und darüber Dickies Cordjäcke, seine eigenen blutverschmierten Sachen hatte er unter den Arm geklemmt. Träge schlich er dahin, denn er war erschöpft, aber er hielt den Kopf erhoben wegen der Hunderte von Leuten, die ihn anstarrten, als er an den Cafés vorüberging, es war der einzig mögliche Weg zu seinem Strandhotel. Er hatte sich gestärkt mit fünf Espressos voller Zucker und drei Schnäpsen in einer Bar an der Straße kurz vor San Remo. Nun spielte er die Rolle des sportlichen jungen Mannes, der den Nachmittag am und im Wasser zugebracht hatte, weil er, ein guter Schwimmer und unempfindlich gegen Kälte, eine besondere Vorliebe dafür hatte, an einem kühlen Tage bis in den frühen Abend hinein zu baden. Er erreichte das Hotel, ließ sich am Empfang den Schlüssel geben, ging in sein Zimmer hinauf und fiel über das Bett. Eine Stunde Ruhe wollte er sich gönnen, dachte er, aber einschlafen durfte er nicht, sonst würde er bestimmt länger schlafen. Er legte sich hin, und als er merkte, daß der Schlaf ihn übermannen wollte, stand er auf, ging ans Waschbecken, goß sich Wasser ins Gesicht, dann nahm er ein nasses Handtuch mit ins Bett, er wollte bloß damit wedeln, um nicht einzuschlafen.
Schließlich stand er auf und machte sich daran, die Blutflecke an dem einen Bein seiner Cordhose zu bearbeiten. Wieder und wieder schrubbte er sie mit Seife und einer Nagelbürste, die Hand wurde ihm lahm, und er unterbrach seine Arbeit, um den Koffer zu packen. Er packte Dickies Sachen genauso, wie Dickie sie immer gepackt hatte, Zahnpasta und Zahnbürste in die linke hintere Tasche. Dann wandte er sich wieder dem Hosenbein zu, um es fertigzumachen. Seine Jacke hatte zuviel Blut abbekommen, als daß er sie je wieder tragen konnte, er mußte zusehen, daß er sie los wurde, aber er konnte ja Dickies Jacke anziehen, sie war von dem gleichen Beige wie seine und hatte auch fast die gleiche Größe. Tom hatte sich seinen Anzug nach dem Muster von Dickies machen lassen, und der gleiche Schneider in Mongibello hatte ihn angefertigt. Er legte seine eigene Jacke mit in den Koffer. Dann stieg er mit dem Koffer die Treppe hinunter und bat um die Rechnung.
Der Mann am Empfang fragte, wo sein Freund geblieben wäre, und Tom erwiderte, daß er ihn am Bahnhof erwartete. Der Mann lächelte freundlich und wünschte Tom »Buon´ viaggio«.
Zwei Straßen weiter betrat Tom ein Restaurant und zwang sich, eine Terrine Minestrone zu leeren, weil es ihn kräftigen würde. Er war auf der Hut vor dem Italiener mit den Booten. Das wichtigste, dachte er, war es, San Remo noch heute abend zu verlassen, er würde ein Taxi nehmen bis zur nächsten Stadt, wenn kein Zug und kein Bus mehr ginge.
Es gab noch einen Zug nach Süden um zehn Uhr vierundzwanzig, erfuhr Tom am Bahnhof. Ein Schlafwagen. Morgen früh in Rom erwachen, umsteigen nach Neapel. Es schien plötzlich alles so unfaßbar simpel und leicht, und in einem Anfall von Selbstsicherheit überlegte er, ob er nicht für ein paar Tage nach Paris fahren sollte.
»´Spetta un momento«, sagte er zu dem Beamten, der ihm gerade seine Fahrkarte aushändigen wollte. Tom ging im Kreise um seinen Koffer herum und dachte an Paris. Eine Nacht. Nur einmal dort umschauen, für zwei Tage zum Beispiel. Es wäre ja ganz egal, ob er es Marge sagte oder nicht. Abrupt entschied er sich gegen Paris. Er hätte ja doch keine Ruhe dort. Es drängte ihn zu sehr, nach Mongibello zu kommen und Dickies Sachen zu sichten.
Die weißen, straffen Laken seiner Koje im Schlafwagen schienen ihm der wunderbarste Luxus, den er je kennengelernt hatte. Er liebkoste sie mit den Händen, ehe er das Licht ausknipste. Und die sauberen blaugrauen Decken, das kleine schwarze Netz über seinem Kopf - einen Moment war Tom ganz hingerissen bei dem Gedanken an all das Schöne, was nun vor ihm lag, mit Dickies Geld, andere Betten, Tische, Meere, Schiffe, Koffer, Hemden, Jahre der Freiheit, Jahre der Freude. Dann löschte er das Licht, ließ seinen Kopf auf das Kissen sinken und fiel beinahe sofort in tiefen Schlaf, glücklich, zufrieden und ganz, ganz zuversichtlich, so zuversichtlich, wie er in seinem ganzen Leben noch nie gewesen
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