Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
über Bord. Es macht ksch-plong, als er in das durchsichtige Wasser fiel, einen blasigen Strudel hinter sich herziehend, dann verschwand er, sank und sank, bis sich das Seil um Dickies Knöchel straffte,.und da hatte Tom bereits die Knöchel über Bord gehoben und zog nun an einem Arm, um den schwersten Teil des Körpers, die Schultern, über Bord zu heben. Dickies schlappe Hand war warm und schwer. Die Schultern schienen am Boden des Bootes zu kleben, und wenn er zog, dann war es, als dehnte sich der Arm wie Gummi, der Körper rührte sich nicht von der Stelle. Tom ließ sich auf ein Knie nieder und versuchte, ihn über Bord zu heben. Damit brachte er nur das Boot zum Schlingern. Er hatte das Wasser ganz vergessen. Das Wasser war das einzige, was er fürchtete. Er mußte ihn hinten am Heck hinauswerfen, dachte er, das Heck lag tiefer im Wasser. Er zerrte den schlaffen Körper zum Heck, das Seil schleifte auf der Bordwand mit. Am Gewicht des Zementblockes im Wasser merkte er, daß es noch nicht auf Grund stieß. Jetzt packte er Dickies Kopf und die Schultern, drehte Dickie auf den Bauch und schob ihn Stück für Stück hinaus. Dickies Kopf lag schon im Wasser, seine Taille krümmte sich über die Bordwand, und jetzt waren die Beine schwer wie Blei, sie widerstanden Toms Kraftanstrengungen mit ihrem unglaublichen Gewicht, genau wie vorher die Schultern, so als hielte eine magnetische Kraft sie unten im Boot fest. Tom atmete einmal tief und schob mit aller Kraft. Dickie ging über Bord, aber Tom verlor das Gleichgewicht und fiel gegen die Ruderpinne. Der leerlaufende Motor brüllte plötzlich auf.
Tom wollte sich auf den Schalthebel werfen, aber in diesem Moment schwenkte das Boot in eine rasende Kurve. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Tom Wasser unter sich und seine eigene ausgestreckte Hand, mit der er den Bootsrand hatte packen wollen, aber da war kein Bootsrand mehr.
Er lag im Wasser.
Er japste, krümmte sich zusammen, schnellte sich hoch, griff nach dem Boot. Er griff daneben. Das Boot hatte zu trudeln begonnen. Tom stieß sich wieder hoch, dann sank er tiefer, so tief, daß das Wasser über seinem Kopf zusammenschlug, es schlug mit verhängnisvoller, tödlicher Langsamkeit über ihm zusammen, wenn auch schneller, als er Luft holen konnte, und er atmete seine Nase voll Wasser, während das Wasser ihm über die Augen stieg. Das Boot war jetzt etwas weiter entfernt. Er kannte das mit dem Trudeln: das hörte nicht auf, solange nicht jemand ins Boot kletterte und den Motor abstellte, und jetzt, hier in der todbringenden Leere des Wassers, durchlitt er schon im voraus sein Sterben, strampelnd ging er wieder unter, und der wildgewordene Motor erstarb, wenn das Wasser in seine Ohren einbrach und alle Geräusche tötete außer den krampfhaften Geräuschen innen in ihm, sein Stöhnen, sein Kämpfen, das verzweifelte Pochen seines Blutes. Wieder war er oben und kämpfte sich automatisch an das Boot heran, das Boot allein konnte schwimmen, wenn es auch trudelte und unmöglich zu fassen war, und sein spitzer Bug pfiff zweimal, dreimal, viermal an ihm vorbei, während er einmal Atem holte.
Er schrie um Hilfe. Er bekam nichts als den Mund voll Wasser.
Seine Hand berührte unter Wasser das Boot, und wie ein böses Tier schob das Boot die Hand mit einem Hieb der Bugspitze beiseite. Wie wild grapschte er nach dem Boot, was kümmerte ihn die rotierende Schraube. Er spürte das Steuer zwischen seinen Fingern. Schnell tauchte er, aber nicht schnell genug. Der Kiel schlug ihm auf die Schädeldecke, als er über ihm vorbeidrehte. Jetzt näherte sich wieder das Heck, und er griff danach, seine Finger glitten vom Steuer ab. Mit der anderen Hand bekam er die hintere Bordkante zu fassen. Mit ausgestrecktem Arm hielt er Abstand von der Schraube. Mit ungeheurer Kraftanstrengung - woher nahm er bloß die Kraft? - warf er sich über den Rand des Hecks und bekam den einen Arm über die Bordwand. Dann langte er hinauf und berührte den Hebel.
Der Motor erstarb.
Tom klammerte sich mit beiden Händen an den Bootsrand, in ihm war nichts als Erleichterung, ungläubige Erleichterung, bis er den brennenden Schmerz in seiner Kehle spürte, den stechenden Schmerz in der Brust bei jedem Atemzug. Er blieb hängen, wo er hing, und ruhte sich aus, vielleicht zwei, vielleicht auch zehn Minuten, er dachte an gar nichts, nur daran, daß er Kraft sammeln mußte, genügend Kraft, um sich in das Boot zu ziehen, und endlich begann er, langsam im Wasser
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