Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Tom.
»Schön. Vielen Dank für das Stradivari.«
»Keine Ursache.«
Sie ging den Weg hinunter zum Eisentor, und ´raus war sie.
Tom ergriff den Koffer und rannte hinauf in Dickies Schlafzimmer. Er zog Dickies oberste Schublade auf: Briefe, zwei Adressenverzeichnisse, ein paar kleine Notizbücher, eine Uhrkette, einzelne Schlüssel und irgendeine Versicherungspolice. Er zog auch die übrigen Schubfächer heraus, eins nach dem anderen, und ließ sie offenstehen. Hemden, Hosen, zusammengefaltete Pullover und durcheinandergewühlte Strümpfe. In einer Zimmerecke ein wüster Haufen von Mappen und alten Zeichenblöcken. Es gab eine Menge zu tun. Tom zog sich völlig aus, rannte nackt nach unten und nahm eine schnelle, kalte Dusche. Dann zog er Dickies alte weiße Segeltuchhose an, die im Schrank an einem Nagel hing.
Er begann mit der obersten Lade, aus zwei Gründen: die jüngsten Briefe waren wichtig, falls da irgend etwas Laufendes sein sollte, um das man sich unverzüglich kümmern mußte, und zweitens würde es nicht so aussehen, als ob er schon jetzt das ganze Haus ausräumte, falls Marge am Nachmittag noch einmal hereinschauen sollte. Aber anfangen könnte er doch wenigstens, schon heute nachmittag, dachte er, Dickies beste Sachen in Dickies größte Koffer zu verstauen.
Noch um Mitternacht rumorte Tom im Hause herum. Dickies Koffer waren gepackt, jetzt stellte er eine Schätzung an, wieviel wohl die Einrichtung des Hauses wert sein mochte, was er Marge vermachen wollte und was mit dem übrigen geschehen sollte. Marge mochte den verdammten Kühlschrank behalten. Das müßte sie eigentlich freuen. Die schwere, geschnitzte Truhe im Flur, in der Dickie seine Bettwäsche aufbewahrte, dürfte mehrere hundert Dollar wert sein, dachte Tom. Dickie hatte einmal gesagt, sie wäre vierhundert Jahre alt, als Tom sich nach der Truhe erkundigt hatte. Cinquecento. Er wollte mit Signor Pucci reden, dem stellvertretenden Direktor des »Miramare«, und ihn bitten, als Agent für den Verkauf des Hauses und der Einrichtung zu fungieren. Und auch des Bootes. Dickie hatte gesagt, Signor Pucci übernähme solche Dinge für die Dorfbewohner.
Tom hatte sich vorgenommen, alles, was Dickie besaß, ohne Umschweife mitzunehmen nach Rom, aber jetzt überlegte er sich, was Marge wohl davon halten würde, wenn er derartig viel mitnähme für eine angeblich so kurze Zeit, und er kam zu dem Schluß, daß es sicherlich besser wäre, wenn er ihr erzählte, Dickie hätte sich in der Zwischenzeit entschlossen, nach Rom zu ziehen.
Tom ging also am folgenden Nachmittag um drei herum zur Post hinunter und holte einen uninteressanten Brief für Dickie von einem Freund in Amerika ab, für ihn selber war nichts da. Aber während er langsam wieder dem Hause zuging, las er in Gedanken einen Brief von Dickie. Er sah ihn im Wortlaut vor sich, er konnte ihn auswendig hersagen für Marge, wenn er mußte, und er brachte sich sogar dazu, die leise Überraschung zu empfinden, die er angesichts einer solchen Sinnesänderung bei Dickie empfunden hätte.
Sobald er nach Hause kam, machte er sich daran, Dickies beste Bilder und die beste Bettwäsche in einen großen Pappkarton zu packen, den er eben auf dem Rückweg bei Aldo im Lebensmittelgeschäft bekommen hatte. Er arbeitete ruhig und systematisch, jeden Moment erwartete er Marge, aber es war bereits vier durch, als sie kam.
»Noch da?« fragte sie, als sie in Dickies Zimmer trat.
»Ja. Heute kam ein Brief von Dickie. Er hat sich dazu entschlossen, nach Rom zu ziehen.« Tom reckte sich und lächelte ein bißchen, so als wäre das auch für ihn eine Überraschung. »Er will, daß ich seine sämtlichen Sachen mitbringe, alles, was ich schleppen kann.«
»Nach Rom ziehen? Für wie lange?«
»Ich weiß nicht. Auf jeden Fall den Winter über, wie es aussieht.« Tom fuhr fort, Gemälde zusammenzubinden.
»Er kommt den ganzen Winter nicht wieder?« Marges Stimme klang ganz klein.
»Nein. Er sagt, er will vielleicht sogar das Haus verkaufen. Darüber hätte er aber noch nicht entschieden, sagt er.«
»Du lieber Himmel! - Was ist denn passiert?«
Tom zuckte die Achseln. »Allem Anschein nach möchte er den Winter in Rom verbringen. Er sagt, daß er Ihnen schreiben wird. Ich dachte schon, Sie hätten seinen Brief vielleicht auch heute nachmittag bekommen.«
»Nein.«
Schweigen. Tom arbeitete weiter, ohne aufzusehen. Es fiel ihm ein, daß er von seinen eigenen Sachen überhaupt noch nichts gepackt hatte. Er
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