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Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Titel: Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Schulter, er rollte seinen Kopf unter Freddie hinweg, und sekundenschnell durchfuhr ihn Stolz über seine eigene Stärke, bis der Schmerz in seinem nun freigewordenen Arm ihn zusammenzucken ließ. Der Arm war so abgestorben, daß Tom nicht einmal Freddies Körper damit umschlingen konnte. Er biß die Zähne noch fester zusammen und wankte die vier Eingangsstufen hinab, dabei stieß er mit der Hüfte gegen den steinernen Pfosten.
    Ein Mann, der auf dem Bürgersteig gegangen kam, verlangsamte seinen Schritt, als wollte er stehenbleiben, ging dann aber weiter.
    Wenn jemand herüberkommen sollte, dachte Tom, dann würde er ihm eine solche Pernodwolke ins Gesicht blasen, daß jede Frage, was denn los sei, überflüssig wäre. Hol´ sie der Teufel, hol´ sie der Teufel, hol´ sie alle der Teufel, murmelte Tom vor sich hin, als er das Gitter aufstieß. Passanten, unschuldige Passanten. Vier waren es jetzt. Aber nur zwei von ihnen schenkten ihm auch nur einen Blick, dachte Tom. Einen Augenblick blieb er stehen, um einen Wagen vorbeizulassen. Dann ein paar schnelle Schritte, und mit einem Schwung warf er Freddies Kopf und eine Schulter durch das offene Fenster in den Wagen, weit genug hinein, daß er Freddies Körper mit seinem eigenen Körper halten konnte, bis er wieder zu Atem gekommen war. Er blickte um sich, in den Lichtkreis der Laternen auf der anderen Straßenseite, in die Schatten vor seinem Hause. In diesem Moment kam der kleinste der Buffi-Jungen aus der Tür gerannt und lief die Straße entlang, ohne in Toms Richtung zu blicken. Dann überquerte ein Mann die Straße und ging ganz dicht am Wagen vorbei, nur einen kurzen, leicht überraschten Blick schenkte er Freddies gebeugter Gestalt, die jetzt fast natürlich wirkte, dachte Tom, praktisch als lehnte sich Freddie nur in den Wagen, um mit jemandem zu sprechen, allerdings so ganz natürlich sah es nicht aus, das wußte Tom. Aber das war ja das schöne an Europa, dachte er, man half hier niemandem, man mischte sich nicht ein. Wenn das hier Amerika gewesen wäre . . .
    »Kann ich Ihnen helfen?« fragte eine Stimme auf italienisch.
    »Oh - nein, nein, grazie«, sagte Tom in betrunkener Fröhlichkeit. »Ich weiß schon, wo er wohnt«, murmelte er noch auf englisch.
    Der Mann nickte, lächelte ein bißchen und ging weiter. Ein großer, dürrer Mann in einem dünnen Mantel, hutlos, mit Schnurrbart. Tom hoffte, der Mann würde sich nicht erinnern können. Und den Wagen nicht wiedererkennen.
    Tom schwang Freddie an der Wagentür hoch, drehte ihn hinein auf den Sitz, ging um den Wagen herum und zog Freddie auf den Beifahrerplatz. Dann zog er ein Paar braune Lederhandschuhe an, die er sich in die Manteltasche gesteckt hatte. Er steckte Freddies Zündschlüssel hinein. Gehorsam sprang der Motor an. Sie fuhren. Bergab zur Via Veneto, an der amerikanischen Bibliothek vorbei, hinüber zur Piazza Venezia, vorbei an dem Balkon, auf dem Mussolini immer gestanden und seine Ansprachen gehalten hatte, vorbei an dem riesigen Viktor-Emanuel-Monument, durch das Forum, vorbei am Kolosseum - eine große Rundfahrt durch Rom, die Freddie überhaupt nicht würdigen konnte. Es war gerade, als schliefe Freddie neben ihm, so wie die Menschen manchmal schliefen, wenn man ihnen die Gegend zeigen wollte.
    Vor ihm erstreckte sich die Via Appia Antica, grau und uralt im trüben Licht der spärlichen Laternen. Schwarze Grabfragmente erhoben sich zu beiden Seiten der Straße, ihre Umrisse zeichneten sich gegen den immer noch nicht ganz dunklen Himmel ab. Er gab mehr Finsternis als Licht. Und nur ein einziges Auto ganz vorn, das auf ihn zukam. Nicht viele Leute ließen es sich einfallen, im Januar nach Dunkelwerden eine solch holprige, düstere Straße entlangzufahren. Außer Liebespaaren vielleicht. Der Wagen kam näher und fuhr vorbei. Tom fing an, nach der geeigneten Stelle Ausschau zu halten. Freddie soll hinter einem hübschen Grabstein liegen, dachte er. Dort vorn war so ein Plätzchen, drei oder vier Bäume standen nahe am Straßenrand, ohne Zweifel war da auch ein Grabstein hinter den Bäumen, jedenfalls die Reste eines Grabsteins. Tom bog von der Straße ab an die Bäume heran und schaltete das Licht aus. Er wartete einen Augenblick und ließ seine Blicke auf und ab schweifen auf der schnurgeraden, verlassenen Straße.
    Freddie war noch immer weich und schlaff wie eine Gummipuppe. Was redeten sie da bloß immer von Leichenstarre? Rauh zerrte er jetzt den kraftlosen Körper hinter sich her, das

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