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Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Titel: Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns
Autoren: Mark Billingham
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Morgen weiß ich das sicher. Ich denke ja. Aber was macht sie hier? Das ist doch eine ziemlich belebte Straße. Man hätte ihn leicht sehen können.«
    »Das wurde er auch. Leider nur von einer Blindschleiche. Allerdings glaube ich nicht, dass er sich lange hier aufgehalten hat.«
    Hendricks trat zur Seite, sodass sich Thorne die Frau anschauen konnte, die in wenigen Stunden als Helen Theresa Doyle identifiziert werden würde. Sie war noch sehr jung, vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt. Ihre Bluse war hochgerutscht und enthüllte einen gepiercten Bauchnabel. Sie trug große runde Ohrringe, und unter ihrem zerrissenen Rock zeigte sich am Beinansatz eine hässliche Wunde.
    Hendricks schloss seine Tasche. »Ich glaube, die Wunde hat sie sich zugezogen, als der Mistkerl sie übers Geländer geworfen hat.«
    Plötzlich nahm Thorne aus dem Augenwinkel etwas wahr, und er drehte den Kopf nach rechts. Ein paar Meter entfernt stand ein Fuchs. Ein Weibchen, vermutete er. Völlig reglos stand das Tier da und beobachtete das seltsame Geschehen. Die Menschen hielten sich in ihrem Revier auf. Thorne empfand einen plötzlichen Schmerz. Er hatte Bauern und Jäger darüber schimpfen gehört, mit welcher Grausamkeit diese Tiere beim Töten vorgingen, doch er bezweifelte, dass ein Wesen, das tötete, um sich und seine Nachkommen zu ernähren, dies mit Freuden tat. Oberhalb des Abhangs rief jemand. Der Fuchs wollte schon losspringen, entspannte sich aber wieder. Thorne konnte seinen Blick nicht von dem Tier abwenden. Eine halbe Minute verging, bevor der Fuchs am Boden schnüffelte und, nachdem seine Neugier befriedigt war, davontrottete.
    Thorne blickte zu Hendricks. Auch er hatte den Fuchs beobachtet. Thorne atmete tief ein und wandte sich wieder dem Mädchen zu.
    Gefühle, die miteinander in Widerstreit lagen.
    Er empfang Abscheu beim Anblick der Leiche, Wut über die Verschwendung. Mitleid für die Angehörigen und Schrecken angesichts des Gedankens, dass er ihnen, ihrer Wut und ihrer Trauer gegenübertreten musste.
    Aber er spürte auch, wie er innerlich zitterte.
    Die Aufregung angesichts des Tatorts. Direkt vor ihren Augen lag vielleicht das, was ihre Ermittlungen in ungeahnte Bahnen lenken könnte. Es wartete nur darauf, es flehte geradezu, gefunden zu werden.
    Wenn es hier wäre, würde er es finden.
    Ihre Leiche …
    In ihren langen braunen Haaren hatten sich Blätter verfangen. Ihre Augen waren geöffnet. Thorne sah, dass sie eine hübsche Figur hatte, versuchte aber, den Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen.
    »Er hat sich doch vorher immer Zeit gelassen, oder?«, grübelte Hendricks. »Alles hübsch arrangiert. Sich die Mühe gemacht, sie hinzulegen, als hätte sie beim Fernsehen oder Kochen der Schlag getroffen. Diesmal hat er sich offenbar keine Mühe gegeben. Irgendwie scheint er in Eile gewesen zu sein.«
    Thorne blickte ihn fragend an.
    »Eine, höchstens zwei Stunden. Sie ist noch nicht einmal kalt.«
    Thorne beugte sich nach unten und ergriff die Hand des Mädchens. Hendricks nahm die OP-Haube vom Kopf und zog sich die Gummihandschuhe aus. Als sich Thorne vorbeugte, um dem Mädchen die Augen zu schließen, dröhnte das Summen des Generators in seinem Kopf. Hendricks’ Stimme schien aus weiter Ferne zu ihm durchzudringen.
    »Ich kann immer noch das Karbol riechen.«
     
    Anne Coburn saß in einem dunklen Zimmer, am Ende eines furchtbaren Arbeitstages, der laut Vorschrift schon drei Stunden zuvor hätte enden sollen. In den Zeitungen wurde ständig über die unzumutbaren Überstunden von Assistenzärzten berichtet, doch Stationsärzte hatten es weiß Gott auch nicht leicht. Ein Treffen mit dem Verwalter, das eine Stunde hätte dauern sollen, aber erst nach drei Stunden zu Ende gewesen war, hatte ihr Kopfschmerzen bereitet, die erst jetzt langsam nachließen. Zwei Vorlesungen, eine Visite, einen Streit mit dem Krankenhausverwalter und einen riesigen Papierberg hatten sie schon überlebt. Und David befand sich immer noch auf dem Kriegspfad …
    Sie lehnte sich zurück und massierte ihre Schläfen. Mein Gott, waren diese Stühle unbequem. Waren sie etwa mit Absicht so gemacht worden, damit Besucher schnell wieder verschwanden?
    Wenn David noch zu Hause wohnen würde, hätte sie den Papierkram vielleicht liegen lassen, doch jetzt war das anders. Im Haus würde es ruhig sein. Rachel würde schon im Bett liegen und sich auf MTV irgendein ausgemergeltes Drogenopfer mit zu viel Eyeliner anschauen.
    Eine Weile dachte
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