Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns
lustig?« Thorne zuckte mit den Schultern. Er wollte sie nicht vor den Kopf stoßen, indem er ihr erzählte, dass er eine Abkürzung für Jeremy Bishop gefunden hatte. Eine ziemlich treffende sogar. GAS.
Ganz arg schuldig.
»Wo ist Rachel heute Abend? Haben Sie sie mit einem Spice-Girls-Video in ihr Zimmer gesperrt?«
»Sie feiert ihr Zeugnis.«
»Gott ja, natürlich, das war heute.« Die Zeitungen waren voll davon. Sie berichteten vom Anstieg der Durchschnittsnoten, der Kluft zwischen Jungen und Mädchen … »Feiern? Dann hat sie gut abgeschnitten?«
Anne zuckte mit den Schultern. »Ziemlich gut, denke ich. Sie hätte sich vielleicht in ein oder zwei Fächern mehr anstrengen können, aber wir waren zufrieden.«
Thorne nickte lächelnd. »Wir? Hmm … die besorgte Mutter.«
Mit einem Lachen ließ sie sich in den Lehnstuhl ihm gegenüber fallen und griff nach ihrem Weinglas. Thorne beugte sich vor, um sich nachzuschenken.
»Erzählen Sie mir etwas über Jeremys Frau.«
Sie seufzte schwer. »Fragen Sie mich das als Polizist?«
»Als Freund«, log er.
Es dauerte einen Moment, bis sie antwortete. »Sarah war eine gute Freundin. Ich hatte sie beide während des Studiums kennen gelernt. Ich bin die Patentante ihrer Kinder, weswegen ich glaube, dass Ihr Interesse an ihm völlige Zeitverschwendung ist, und ich will gar nicht lange darauf herumreiten, aber es kommt mir schon wie … eine Beleidigung vor.«
Thorne wollte sie nicht anlügen, tat es aber trotzdem. »Es ist reine Routine, Anne.«
Sie kickte ihre Schuhe weg und winkelte die Beine an. »Sarah wurde vor zehn Jahren getötet … das müssten Sie doch alles wissen.«
»Ich weiß nur das Wesentliche.«
»Es war eine schreckliche Zeit. Er ist nie wirklich darüber hinweggekommen. Ich weiß, dass er ein wenig überheblich wirkt, aber … sie waren so glücklich zusammen, und er hat sich nie für eine andere interessiert.«
»Auch nicht für Sie?«
Sie wurde rot. »Na ja, zumindest weiß ich, dass das keine offizielle Frage ist.«
»Völlig inoffiziell und schrecklich neugierig, ich weiß, aber ich habe mich gefragt …«
»Wir waren früher zusammen, vor langer Zeit, als wir beide noch studiert haben.«
»Und seitdem nicht mehr? Tut mir Leid …«
»Mein Mann hat das gedacht, wenn Sie dadurch das Gefühl haben, nicht so neugierig zu sein. David hatte immer irgendwie ein Problem mit Jeremy, aber es war nur Rivalität im Beruf, die er gerne als etwas anderes tarnen wollte.«
Wie sein Haar, dachte Thorne. Er versuchte, sich im Zaum zu halten. Anne hatte zwar weit mehr getrunken als er, doch ihm war schon ganz schwindelig.
»Was machen seine Kinder?«, fragte Thorne.
James, vierundzwanzig, und Rebecca, sechsundzwanzig, ebenfalls Ärztin. Diese und viele andere Tatsachen füllten drei Seiten eines Notizbuchs in seiner Schreibtischschublade.
»Rebecca ist Orthopädin in Bristol.«
Thorne nickte interessiert. Erzähl mir was, was ich nicht weiß …
»James, na ja, er hat in den letzten Jahren schon alles Mögliche gemacht. Er hat etwas Pech gehabt, wenn ich es höflich ausdrücken will.«
»Und wenn Sie unhöflich sein wollen?«
»Er nutzt seinen Vater aus. Jeremy ist ein weicher Typ. Sie stehen sich sehr nahe. James saß im Wagen, als der … als sie den Unfall hatten. Er war deswegen eine Weile völlig durch den Wind … Ich habe schon eine Ewigkeit nicht mehr darüber geredet.«
Plötzlich fühlte sich Thorne schrecklich. Er wollte sie umarmen, stattdessen bot er an, eine Tasse Kaffee zu kochen. Gleichzeitig erhoben sie sich.
»Schwarz oder …«
»Hören Sie, Tom, ich muss es Ihnen einfach sagen.« Sie klang leicht angetrunken. »Ich weiß nicht, was Sie über Jeremy denken. Ich weiß nicht, warum Sie ihn unbedingt verhören wollten … Ich habe Angst, darüber nachzudenken, aber warum auch immer Sie das getan haben, hören Sie auf, Ihre Zeit zu verschwenden. Es ist einer meiner ältesten Freunde, über den wir hier reden, und ich weiß, dass er gerne den hartgesottenen, zynischen Arzt spielt, aber das ist nur eine Maske. Er kümmert sich sehr um seine Patienten. Er ist äußerst interessiert an Alisons Fortschritten …«
Alison. Der Mensch, über den sie eigentlich sprechen sollten.
»Genau darüber wollte ich mich mit Ihnen unterhalten. Sie wissen, dass wir versuchen, einige Dinge vor der Presse geheim zu halten.«
Ihre Miene verfinsterte sich. »Bekomme ich nun etwa eine Strafpredigt zu hören?« Jetzt klang sie ganz und gar nicht
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