Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
wenn ich mich recht erinnere …« Die entsprechenden Dateien erschienen auf seinem Bildschirm und Holland studierte sie ein, zwei Sekunden. »Forest Hill, genau …« Er bewegte sich schnell durch die Datei, schüttelte den Kopf. »Nein … nein, es ist unmöglich. Er kann sie nicht beide umgebracht haben.«
Thorne nickte und warf einen Blick aus dem Fenster. Von einem unten vorbeifahrenden Zug hochstiebende Funken erregten kurz seine Aufmerksamkeit. Der Zug kam aus dem Süden, aus Colindale. In den hell erleuchteten Abteilfenstern waren schwankende Köpfe zu erkennen. Dann, als die Gleise eine Kurve beschrieben, schlängelte sich der Zug aus seinem Blickfeld und verschwand.
»Hat er auch nicht.«
Holland blickte ihn an und wartete. Thorne stand stocksteif da und sprach langsam, doch Holland entging nicht, wie sich seine Fäuste an der Seite ballten und lockerten. »Die verwendeten Messer waren vielleicht ähnlich, vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht … bin mir nicht sicher, ob es wichtig ist. Das Muster und die Tiefe der Wunden jedoch … aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Anzahl der Wunden pro Opfer differieren. Die zwei Angriffe werden sich in ihrem … Charakter vollkommen unterscheiden.«
Holland wandte sich wieder seinem Monitor zu und begann zu tippen, rief Scene-of-Crime- und Autopsieberichte auf, während Thorne fortfuhr. »Eine der Frauen ist vermutlich an einer Unmenge von Stichwunden gestorben. Bösartigen … wahllosen … grausamen Stichen. Die andere wahrscheinlich an einem einzigen Stich, der, wie ich vermute, direkt das Herz traf oder …«
Holland wirbelte herum. Seine Miene verriet Thorne alles, was er wissen musste …
Brigstocke meldete sich nach dem ersten Klingelton seines Handys.
»Russell Brigstocke …« Die Stimme war tief, die Verärgerung unverkennbar.
»Ich bin’s, Tom.«
»Detective Inspector Thorne …« Das war für einen Dritten gedacht.
Anscheinend war das Treffen mit Detective Superintendent Jesmond nahtlos in ein Abendessen übergegangen.
»Wir sind da auf etwas gestoßen. Sagen Sie es Jesmond. Nennen Sie es einen Durchbruch, das wird ihm gefallen.« Er wandte sich um, um diesen Augenblick mit Holland zu teilen, doch der Detective Constable war in seine Dokumente auf dem Bildschirm vertieft. Versuchte, einen Sinn darin zu erkennen. »Sagen Sie ihm, es handle sich um eine teuflische Mischung aus einer guten und einer schlechten Nachricht …«
»Ich höre«, erwiderte Brigstocke.
»Ich denke nicht, dass wir einen Mann suchen.«
Thorne erwartete eine Pause, und die bekam er. Dann: »Wollen Sie damit sagen, dass diese Morde nichts miteinander zu tun haben?«
»Nein, das will ich nicht. Sie haben sehr wohl etwas miteinander zu tun. Da bin ich mir sicher.« Thorne wusste, wie Brigstocke in diesem Moment dreinblickte. Beherrscht und erregt zugleich. Als bemühe er sich, die Scheiße zurückzuhalten. Welchen Reim sich wohl Jesmond darauf machte, der zweifelsohne ein großes Glas Rotwein in der Hand hielt und das merkwürdige Mienenspiel seines Detective Chief Inspectors studierte?
Brigstocke begann etwas ungeduldig zu klingen. »Also, was ist es? Ein neuer Hinweis auf den Mörder?«
Thornes Antwort war knapp und direkt. »Auf die Mörder, Russell. Plural. Es sind zwei.«
1985
Ein Augenblick, an den er sich immer erinnern würde. Karen, wie sie auf der Bank saß und sich eine blonde Strähne hinters Ohr strich, und Stuart, wie er lächelte, den Mund wie üblich voller Schokolade, die dunklen Augen auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, auf der Suche nach ihrem nächsten Abenteuer.
Und er, wie er von einem zum anderen blickte, nervös, aber glücklich, die Sonne in seinen Augen und eine kleine Wolke Mücken vor seinem Gesicht tanzend …
Es war ein Augenblick, der ihn an einen Sommertag vor zwei Jahren erinnerte. Den Tag mit dem Cricketschläger. Den Tag, als er Karen das erste Mal sah. Das war selbstverständlich, als er und Stuart noch auf derselben Schule waren. Vor der Sache mit der Pistole …
Die zwei sollten sich nach der Bardsley-Geschichte nicht mehr sehen. Nach dem Schulverweis waren Vorkehrungen getroffen worden, um sie voneinander getrennt zu halten. Und eine Weile war Palmer damit ganz zufrieden gewesen. Schließlich hatte die Polizei ihren Eltern erklärt, es sei für alle besser, wenn man ihnen untersagte, sich zu sehen. Man hatte von »schlechtem Einfluss« und von »sich gegenseitig anstacheln« gesprochen. Doch ihm hatte der Spaß
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