Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
Aufgabe hineingewachsen waren. Der Regisseur hatte über die Maßen enthusiastisch reagiert. Thorne hatte sich hinterher gedacht, dass diese Sendung wohl zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlt werden musste …
Thorne war unterwegs ins Büro. Er wollte noch ein paar Stunden arbeiten. Es wäre besser, erst nach Abebben des Berufsverkehrs nach Kentish Town zurückzufahren. Zumindest war das die Entschuldigung, die er für sich parat hatte.
Holland war das einzige Mitglied des Teams, das noch da war. Er saß über einen Computermonitor gebeugt. Trotz des Tages, der hinter ihm lag, beneidete Thorne ihn nicht. Man hatte ihn zu zwei Computerkursen gezwungen, und dennoch hatte er keinen blassen Schimmer davon. Er konnte nur zwei Dinge problemlos abfragen: die Fanseite der Tottenham Hotspurs und die Hotline für technische Fragen.
»Wo ist der Detective Chief Inspector?«
Holland sah von seinem Computer auf und rieb sich die Augen. »In einer Besprechung mit dem Detective Superintendent.«
»Lieber Gott.« Thorne schüttelte den Kopf. »Wir haben doch gerade erst angefangen.«
»Wo ist McEvoy?«
»Macht sich’s wahrscheinlich gerade in der Badewanne gemütlich …« Holland nickte. Thorne entging nicht, wie müde er wirkte. »Gehen Sie nach Hause, Dave. Machen Sie morgen früh weiter.«
»Ja, das ist wohl klüger. Bevor ich von der Bildschirmarbeit noch krank werde und RSI bekomme. Mein Mausfinger ist schon ganz hinüber.« Er hörte auf zu lachen, als er sich die Miene vorstellte, mit der Sophie ihn begrüßen würde. »Ich mach nur das hier noch fertig … »
Eine Woche ging das nun, und schon wollte keiner von ihnen mehr nach Hause. Beide hatten sie Angst vor bestimmten Gesichtsausdrücken.
Thorne stieß die Tür zu dem Büro auf, das er sich mit Brigstocke teilte, und wartete einen Moment, bevor er das Licht anschaltete. Das Zimmer sah im Dunkeln um einiges besser aus. Von wem zum Teufel konnte man in einer stickigen grauen Schachtel wie dieser oder der noch kleineren nebenan, in der Holland und McEvoy saßen, ordentliche Arbeit erwarten? Abgetretener grauer Teppichboden, schmutziggelbe Wände und zwei schlachterprobte, zerkratzte Schreibtische, die aussahen wie zwei auf einem beschissenen Fluss treibende rechteckige Treibholztrümmer. Topfpflanzen, Familienfotos oder Computerspielereien kamen gegen diese Atmosphäre nicht an, die ihm die Energie raubte, ihn kraftlos zurückließ.
Es gab Momente, in denen Thorne beinahe vergaß, womit er sich seinen Lebensunterhalt verdiente.
Er schaltete das Licht ein und sah einen Autopsiebericht auf seinem Schreibtisch liegen.
In denen er es beinahe vergaß …
Sarah McEvoy tröstete sich mit einem Glas Wein, einer weiteren Zigarette und dem Gedanken, wie einfach es sei zu weinen.
In dem Jungen in Birmingham sah sie nichts als einen potenziellen Zeugen, und ihr war klar, dass sie vielleicht noch etwas anderes in ihm sehen sollte. Ihr war klar, dass sie nicht die angemessenen Gefühle aufbrachte. Wobei es nicht um mütterliche oder weibliche Gefühle ging. Sondern einfach um menschliche Gefühle. Sicher, sie war wütend darüber, was der Mutter des Jungen widerfahren war. Wut war stets sofort da und intensiv. Dabei wurde ihr im Kopf ganz leicht zumute. Die Wut war angenehm, mit dem Mitgefühl war das schwieriger.
Es war nicht gerecht. Sie wurde das Gefühl nicht los, ihr Betragen würde bewertet. Vielleicht sprach Thorne genau in diesem Moment mit jemandem – wahrscheinlich Holland – darüber, wie … hart sie sei. Für eine Frau gab es nur entweder – oder. Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt, aber auf den Senkel ging es ihr dennoch. Frigide oder Schlampe. Girlie oder eine von den ganz Harten. Tough oder emotional labil. Harter Knochen, so bezeichnete man die weiblichen Kolleginnen gerne. Danach kam Zicke oder Trampel.
Sie war sicher, es gab nichts, was Tom Thorne zum Weinen brachte.
So wie die Dinge lagen, war sie in letzter Zeit relativ oft mit dem Gefühl aufgewacht, geweint zu haben. Natürlich war sie sich nie ganz sicher, egal, wie verschwollen sie auch aussah oder wie beschissen sie sich fühlte. Und ganz sicher hatte sie nicht vor, sich bei dem Typen, neben dem sie aufwachte, nach den Einzelheiten zu erkundigen. An diesem Punkt galt es jedwede Konversation auf das Minimum zu beschränken, um sie so schnell wie möglich loszuwerden.
Es stand außer Frage, welchen Reim sich ihre Kollegen, die gern mehr über ihre häusliche Situation in Erfahrung
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