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Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders

Titel: Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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ich könnte sagen, der Grund sei, weil ich mich geweigert hätte. Weil ich aufbegehrt und ein für alle Mal nein gesagt hätte. Ich wünschte, ich könnte dir erzählen, ich sei stark, ich hätte mich dazu durchgerungen, nicht mehr mitzumachen.
    Die Wahrheit ist, ich habe versucht mitzumachen und habe dabei versagt.
    Gott sei Dank. Gott sei Dank habe ich versagt. Vielleicht wollte ein Teil von mir, dass ich versage, wollte es so sehr, dass es so kam. Vielleicht habe ich mir das falsche Mädchen ausgesucht. Oder die Richtige.
    Ich saß im Pub und beobachtete sie, wollte weglaufen, wollte dableiben, zählte jeden Drink, den sie bestellte, hörte sie lachen und spürte das Ding schwer in meiner Tasche. Ich trank Wasser, summte bei der Musik mit und sehnte mich danach, es möge schnell vorbei sein.
    Es war spät, als sie endlich ging. Sie waren die Letzten, die aufbrachen. Grauenvoll perfekt, Karen. Sie hätten alle dieselbe Richtung einschlagen können, dann hätte ich weitersuchen müssen, hätte in die Stadt fahren und mir einen Club suchen müssen. Aber sie ging allein, und ich konnte nicht anders, als ihr zu folgen.
    Ich greife nicht oft auf Kraftausdrücke zurück, Karen, aber als ich die Pistole herauszog, hatte ich eine beschissene Angst. Sie hing wie etwas Totes an meinem Arm, und ihr Mund öffnete sich so weit, und ich stand nur da und sah ihren Mund und hörte ihr zu, wie sie schrie. Keine Ahnung, wie lange wir dastanden, aber statt es schnell zu tun, statt sofort abzudrücken, statt einfach zu tun … weshalb ich da war, stand ich nur da und starrte sie an, als sie auf mich zurannte, und ich beugte den Kopf, als sie auf mich einschlug, unablässig auf mich einschlug. Ich wich ihr aus und sah, wie sie sich bückte und etwas aufhob. Dann ging sie wieder auf mich los, und jetzt tat es richtig weh. Ich weiß, es klingt blöd, aber ich lachte beinahe, weil mir schlagartig klar wurde, dass das Schreien nun von mir kam.
    Ich sah zu, wie sie auf die Straßenbeleuchtung zurannte und schrie, und ich wischte das Blut weg, das mir ins Gesicht lief.
    Ich steckte die Pistole zurück in die Tasche und verschwand.
    Es muss aufhören, Karen.
    Ich wünschte, ich wäre tapfer genug gewesen, zu dir zu kommen, aber du weißt ja, dass ich das nicht bin. Vermutlich hat das Gift in mir jedes Gramm Mut weggeätzt, das da vielleicht einmal war.
    Ich muss nur ein Quäntchen davon finden.
    2000
    Ein Telefonanruf bei den liebenden Eltern vor ein paar Wochen hatte gereicht. Er war nicht überrascht, dass sie nicht umgezogen waren. Würden sie wohl nie tun. Etwas Honig ums Maul, jede Menge Charme, und nach ein paar Minuten hatte er die Adresse von seinem Büro und seiner Wohnung, die Telefonnummern, alles.
    Er stand vor dem Bistro und spähte durchs Fenster. Eine schicke Zurschaustellung von Kupferrohren und tiefen Ledersofas im vorderen Bereich; hinten befanden sich die Tische. Er konnte ihn nicht sehen. Er hatte ihn alleine hineingehen sehen, aber vielleicht hatte er drinnen jemanden getroffen, und sie aßen …
    Sein eigener Lunch begann zu schmelzen. Er schob sich den Rest der Schokolade in den Mund, steckte das Papier in seine Hosentasche und trat durch die Tür. Der Barmann sah auf und lächelte, aber Nicklin schüttelte den Kopf, ging langsam in den rückwärtigen Teil des Raums, zu den Tischen in der Ecke, die nicht im Blickfeld standen.
    Das Flattern im Bauch kam nicht von den Nerven, nicht wirklich. Damit hatte er keine Probleme, nicht, was Angst anging. Hatte er nie gehabt. Solange er sich erinnern konnte, hatte er Dinge getan, für die den meisten anderen der Mumm gefehlt hätte. Nicht weil er tapfer war, sondern weil er keine Angst hatte. Ihm war klar, da bestand ein entscheidender Unterschied.
    Was er jetzt empfand, war Erregung. Die Möglichkeit von etwas Neuem und weitaus Intensiverem, als er es bisher gefühlt hatte. Und natürlich knüpfte er in gewisser Weise genau da wieder an, wo er vor langer Zeit aufgehört hatte. Etwas Altes und etwas Neues …
    Er erreichte den rückwärtigen Teil des Raums, sah nach links und erkannte ihn sofort. Er saß mit zwei anderen am Tisch, Männern mit fliehendem Kinn, hemdsärmlig, die Wein hinunterschütteten und laut brabbelten – Spesenwichser.
    Er ging auf den Tisch zu.
    Als er drei Meter entfernt war, blickte Palmer auf, musterte ihn und wandte sich wieder dem Gespräch zu. Selbstverständlich hatte er ihn nicht erkannt. Da war sich Nicklin so gut wie sicher gewesen. Andernfalls

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