Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
nicht frech, Tom. Verdirb dir nicht alles. Diese ganze Idee klingt schon so blöd genug …
Es lag zwei Tage zurück, dass Palmer etwas schwach auf den Beinen und mit einer Kopfwunde in der Polizeiwache aufgetaucht war, um eine Pistole auf den Tisch zu legen und ein paar dunkle Geheimnisse loszuwerden. Die Idee hatte sich in dem Augenblick in Thornes Kopf festgesetzt, als Palmer zum ersten Mal mit ihm sprach.
Ich weiß nicht, wer er ist …
Die Idee nahm Gestalt an, wurde immer größer, so wie eine Schneekugel, die man auf einem Feld herumrollte, wurde lauter, je größer sie wurde, stöhnte und ächzte, bis sie riesig war, nicht mehr bewegt und nicht mehr ignoriert werden konnte.
Palmer war wie ein Mann in einem Traum gewesen, der zu entsetzt war, um aufzuwachen und sich dem Albtraum einer grauenvollen Wirklichkeit zu stellen.
Er erzählte Thorne alles, was er wusste. Über die Vergangenheit und die Nachrichten und den Terror und, Gott, über die Erregung. Er erzählte ihm alles, was er getan hatte – mit seinem Messer und seinen Händen. Er sprach über die Tränen, die er hatte wegwischen müssen, um ihre Gesichter richtig sehen zu können, während er sie umbrachte. Jetzt wollte er nur noch dafür bestraft werden. Wollte weggesperrt werden.
Thorne jedoch wollte weitaus mehr, und sobald der Plan in seinem Kopf gereift war, bot er Palmer eine überraschend einfache Möglichkeit an, das Aufwachen erträglicher zu gestalten. Dem Albtraum ein Ende zu setzen …
Palmer hatte im Prinzip allem zugestimmt.
Jetzt wartete er, so wie Thorne wartete, auf die Zustimmung von oben zu diesem Plan, der, gelinde ausgedrückt, ein unorthodoxer Zug war und, falls es dick kam, das Ende der einen oder anderen Karriere bedeuten würde.
Jesmond rückte seinen Stuhl etwas näher an den Tisch und setzte sich aufrecht hin. »Ich muss Ihnen sagen, ich bin nicht überzeugt.«
Du brauchst mir nichts erzählen, dachte Thorne. Es steht dir in dein nichts sagendes, verkniffenes Gesicht geschrieben. In diesen roten Äderchen auf deiner Nase und deinen Wangen …
Jesmond fuhr fort. »Palmer ist ein mehrfacher Mörder, ein Serienkiller, um es mal sensationslüstern auszudrücken …«
Norman nickte. »Warum nicht? Das wollen die Presseleute doch.«
»Genau. Jetzt können wir ihn ihnen geben. Jetzt haben wir die Chance, diesen, lassen Sie sich das versichern, Detective Inspector, äußerst großen Druck zu mildern, indem wir ein Ergebnis vorweisen. Und ich muss Ihnen gestehen, diese Chance würde ich gerne nutzen.«
Thorne versuchte, seine Argumentation so glasklar wie möglich vorzubringen. »Wenn wir damit rausgehen, dass wir Palmer haben, verlieren wir einen weitaus gefährlicheren Mörder.«
Jesmond strich sich mit dem Finger über die dünnen Lippen und sah auf die Unterlagen, die vor ihm auf dem Tisch lagen. »Vormals Stuart Anthony Nicklin.«
Vormals …
Thorne nickte. »Ja, Sir.«
»›Weitaus gefährlicher‹ ist wohl etwas übertrieben, oder? Widerwärtiger, zugegeben, aber er und Palmer haben jeweils zwei Morde begangen, daher …«
»Soweit wir wissen, Sir.«
Brigstocke nickte. »Da muss ich Detective Inspector Thorne zustimmen. Nicklin scheint der Monströsere von beiden zu sein. Auf alle Fälle ist er der Gewalttätigere.«
Thorne dachte, heilige Scheiße, endlich angekommen. »Nicklin hat diese Morde geplant. Ohne ihn gäbe es keine Morde mehr. Ohne Palmer … ich glaube, er würde einfach untertauchen.«
Eine Pause entstand. Thorne sah hinüber zu Brigstocke, doch der Detective Chief Inspector fixierte den Tisch vor sich. Thornes Blick wanderte zum Fenster. Der Himmel hatte die Farbe eines Fisches, der bereits lange tot war.
Schließlich ergriff Norman das Wort. »Und das ist … schlecht, oder? Wenn Nicklin einfach verschwindet?«
Thorne versuchte, informativ zu klingen, versuchte, Norman nicht allzu sehr das Gefühl zu geben, eine dumme Frage gestellt zu haben. »Er wird nicht für immer untertauchen. Er wird warten, bis er sich sicher wähnt. Dann wird er wieder anfangen. Anders natürlich. Vielleicht zieht er um und mordet woanders.«
Norman nickte, doch Thorne entging nicht dieser Blick, der keinen Zweifel daran ließ, dass er sich nicht genug Mühe gegeben hatte. Norman kam sich dumm vor …
Brigstocke nahm die Brille ab und rieb sich den Nasenrücken. Verunsichert glaubte Thorne sich daran zu erinnern, diese Geste schon einmal bei ihm gesehen zu haben, kurz bevor er einem Pädophilen die Zähne
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