Tom Thorne 03 - Die Blumen des Todes
seinen eigenen Kram kümmern und er wisse genau, was laufe. Er konnte sich noch an das Gesicht seines Bruders erinnern, das Zittern um den Mund, als er ihm vorgeworfen hatte, auf Jane zu stehen. Gerade dass er ihm nicht unterstellte, mit ihr hinter seinem Rücken zu vögeln. Er erinnerte sich an seine Schuldgefühle, damals und später, weil er tatsächlich auf Jane stand, immer gestanden hatte.
Und er erinnerte sich an die Gesichter der Kinder, das letzte Mal, als er sie gesehen hatte, bevor diese Kuh vom Sozialamt die beiden wegfuhr. Sarah war ganz ruhig gewesen, wahrscheinlich hatte sie gar nicht verstanden, was passierte. Aber das Gesicht des Jungen, Marks Gesicht, war rotz- und tränenverschmiert an die Scheibe gepresst.
Er glitt hinter seinem Tisch hervor, nahm seine Rechnung und schlenderte hinüber an die Kasse, um zu zahlen.
Seine Gedanken waren bei seinem Neffen und seiner Nichte. Er hoffte, dass sie zusammen waren und weit weg. An einem Ort, wo niemand sie finden und ihr Leben zerstören konnte.
Der Nachmittag lag vor ihm. Er würde nach Hause gehen und sich hinlegen und darauf warten, dass es dunkel wurde. Dann würde er sich Metal einlegen und was trinken. Eine Dose nach der anderen, bis der Lärm in seinem Kopf übertönt wurde von dem Kreischen und Dröhnen der Musik, die sein Schlafzimmer erfüllte.
Als sie zum Becke House zurückkamen, fasste Thorne für Kitson und Brigstocke zusammen, wie es in Colchester gelaufen war. Sie besprachen die Fortschritte auf der anderen Ermittlungsschiene. Der Southern-Mord hatte viel gemein mit den vorherigen Morden: die Todesart; die Tatortwahl und -aufbereitung; der Kranz, der diesmal bis zur Hotelzimmertür gebracht und nach einem Blick auf den Empfänger überstürzt fallen gelassen wurde.
Doch es gab auch eine Menge Unterschiede. Neuen Ansätzen musste nachgegangen werden …
Southern war vor über zehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen worden. Er war anders ausgewählt worden als die vorherigen Opfer. Und er war mit Sicherheit anders angemacht worden. Anders als Remfry oder Welch hatte er ein ganzes Leben, das aufgedröselt werden musste, falls sie herausfinden wollten, wie der Mörder dazu Zugang gefunden hatte. Mehrere hundert Aussagen mussten aufgenommen werden, jeder wurde befragt, der mit Southern in Kontakt gestanden hatte: seine Arbeitskollegen; seine Freunde, mit denen er einen heben ging; die Mitglieder seines Fitnessclubs; die Freundin, mit der er kürzlich Schluss gemacht hatte …
Die meisten dieser Leute, die zu seinem neuen Leben gehörten, hatten sicher keine Ahnung, dass Howard Southern einmal im Gefängnis gesessen hatte. Selbst wenn er es ihnen erzählt hatte – und bei einigen hätte es ihm womöglich durchaus Ehre eingebracht –, war die Chance noch immer groß, dass er ihnen verschwiegen hatte, warum er eingesessen hatte.
Sein Unglück war, dass jemand den genauen Grund dafür herausgefunden und ihn deswegen umgebracht hatte.
Thorne sah in seinem Büro seine Post durch. Wie immer bestand sie größtenteils aus Müll. Sinnlose Memos, Pressemitteilungen, Kriminalstatistiken, neue Richtlinien. Er blätterte den neuen Monatsbrief der Polizeivereinigung durch. Eine Geschichte über eine Polizeidienststelle, deren Mitglieder die Titelmelodien einer Reihe von bekannten TV-Polizeiserien pfiffen und davon eine Aufnahme machen ließen. Diese Aufnahme wurde in einigen der etwas raueren Wohngegenden und Einkaufszentren abgespielt, um die Straßenkriminalität einzudämmen.
Nachdem Thorne sich genügend darüber amüsiert hatte, hörte er seinen Anrufbeantworter ab. Joanne Lesser hatte angerufen, um zu sagen, sie wolle morgen Vormittag mit der Überprüfung der Unterlagen beginnen, allerdings seien einige Akten anscheinend aus dem Bezirksamt in ein neues Archiv in einem Industriegebiet am Rande von Chelmsford gebracht worden. Die nächste Nachricht stammte von Chris Barratt in Kentish Town. Keine Nachricht von Eve …
Thorne hob den Hörer ab und wunderte sich über den Stich, die Enttäuschung, die er spürte. Erstaunlich, welch unglaubliches Geschick er hatte, Entscheidungen aufzuschieben und Mist zu bauen …
»Wird aber auch Zeit«, sagte er.
»Ganz ruhig«, antwortete Barratt. »Noch haben wir ihn nicht. Aber wir wissen, wer es war. Gleich morgen früh schnappen wir ihn uns.«
»Wie haben Sie ihn gefunden?«
»Tja, das ist eine irre komische Geschichte …«
»Legen Sie los …«
»Er verkauft die Stereoanlage, ja?
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