Tom Thorne 03 - Die Blumen des Todes
Schuppen von den Augen. Er sah, dass er sich wie ein Elefant im Porzellanladen benahm und soeben eine der Lieblingszeilen seines Dads niedergewalzt hatte. Ihm wurde übel vor Scham …
Sein Vater legte Messer und Gabel weg und reagierte auf das Stichwort. »Das stimmt, Vic. Der Arzt hat mir gesagt, dass man nur nach einer Obduktion wirklich sicher sein kann. Worauf ich entgegnete: »Nein danke. Darauf lege ich im Augenblick noch keinen Wert!««
Victor und sein Vater schüttelten sich noch immer vor Lachen, als Thorne bereits an der Bar stand und darauf wartete, bedient zu werden …
Man hatte ihm erklärt, es handle sich hier um das »mittlere Stadium« der Demenz. Klang etwas vage, aber Thorne vermutete, dass, falls es noch ein weiteres Stadium gab, es wohl noch eine Weile so weitergehen würde. Solange die schlechten Witze die Augenblicke voller Verzweiflung und Panik überwogen, würde er versuchen, sich keine zu großen Sorgen machen.
Nur kurz, eine oder zwei Minuten lang, hatte Carol sich gefragt, was sie hier eigentlich trieb, hatte überlegt, ob sie nicht einfach mit ihrem Mann tauschen sollte. Herrgott noch mal, sie war schließlich eine Frau mittleren Alters! Sie sollte wie Jack auf dem Sofa liegen und sich Heartbeat ansehen, statt sich frierend im Anorak in ihrer eiskalten Garage durch gammelige Kartons zu wühlen.
Das war gewesen, bevor sie sich eingearbeitet hatte. Sobald sie in das eintauchte, was von Alan Franklins Vergangenheit übrig geblieben war – seiner ersten Vergangenheit –, war ihr nicht mehr kalt. Da war wieder dieses bizarre und aufregende Gefühl, etwas zu suchen, hinter etwas her zu sein, ohne den blassesten Schimmer zu haben, was »es« war.
Überall um sie herum, in den Wohnzimmern und Küchen in ihrer ruhigen Straße in Worthing, brüteten Frauen ihres Alters über Kreuzworträtseln, verloren sich in Schundromanen oder deckten den Tisch für das morgige Frühstück …
Carol zog einen Stapel verstaubter, leerer Blätter aus einer der Schachteln, wischte mit der Hand den Dreck weg. Sie hätte mit keiner dieser Frauen tauschen wollen …
In diesen Schachteln befand sich eine Unmenge Papier, ganze Berge von dem Zeug, in diversen Formaten, früher wohl weiß, doch inzwischen vergilbt und etwas feucht. Es gab auch Umschläge und kleinere Päckchen mit Karteikarten, Aufklebern und verrosteten Heftklammern. Franklin hatte Sheila kennen gelernt, als er für eine Versicherung in Hastings arbeitete, hatte sich aber offensichtlich nicht von ein paar merkwürdigen Erinnerungsstücken an sein früheres Arbeitsleben trennen wollen.
Nichts von dem anderen Kram hätte bei einer dieser Kunst-oder-Krempel- Sendungen irgendjemandes Puls in die Höhe gejagt: ein paar unbenutzte Lett-Taschenkalender aus den Jahren 1975 und 1976; ein Schlüsselbund mit einem Ford-Escort-Anhänger; in alte Zeitungen eingepackte Teller und Teetassen, einige Polaroidbilder in einem Manilaumschlag – zwei Jungs; ein Baby, das Ältere ein Kleinkind, und die beiden später als zwei ungehobelte, ernste Teenager.
Carol wickelte das trockene Zeitungspapier von einem Ding, das sich als riesiger Silberhumpen entpuppte. Sie legte das zerknitterte Papier zur Seite und strich es auf dem Garagenboden glatt. Es stammte von einem Lokalblatt. Sie warf einen Blick auf das Datum – wahrscheinlich der Tag, an dem Franklin ausgezogen oder von seiner Frau hinausgeworfen worden war. Schien nicht viel los gewesen zu sein an diesem Tag in Colchester: ein kleiner Protest wegen einer Umgehungsstraße; die Wiedereröffnung eines Freizeitzentrums nach einem Umbau; ein Juwelenklau in einem Schmuckladen im Stadtzentrum …
Carol schmunzelte bei diesem Ausdruck, den sie schon ewig nicht mehr gehört hatte. Juwelenklau. Vor etwas mehr als zwanzig Jahren haftete selbst den Verbrechen noch irgendwie etwas wie Unschuld an …
Sie hob den Humpen hoch. Trotz der Zeitung war er an einer Seite etwas schwarz angelaufen, aber sie konnte eine Gravur erkennen. Sie hielt ihn hoch, um diese im Licht der Glühbirne besser lesen zu können.
Von den Jungs bei Baxters, Mai 1976.
Willkommen zurück im Laden.
Heb einen, um zu feiern,
oder mehr als einen,
um die ganze Sache zu vergessen!
Carol dachte daran, Sheila Franklin anzurufen, doch ihr Instinkt sagte ihr, dass die Frau ihr keine große Hilfe sein würde. Ihr Mann hatte ihr nichts von seiner Vergangenheit erzählt. Vielleicht war er ab und zu hinauf auf den Dachboden gestiegen und hatte
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