Tom Thorne 04 - Blutzeichen
es gesagt hatte. Kitson stieg die Röte bereits ins Gesicht.
»Entschuldigen Sie, Yvonne …«
»Seien Sie nicht dumm.«
Er nickte. Genau so fühlte er sich, dumm. »Wie läuft’s so?«
»Ach, wissen Sie. Beschissen …« Sie lächelte und drehte ihren Stuhl zum Schreibtisch.
»Wie geht’s den Kindern?«
Sie drehte sich langsam zurück. Offensichtlich wollte sie reden. »Der Älteste führt sich ein bisschen auf in der Schule. Schwer zu sagen, ob das damit zu tun hat, was passiert ist. Aber irgendwie komm ich nicht davon los, dass es etwas damit zu tun hat. Ich versuch zwar, mir nicht wegen allem und jedem ein schlechtes Gewissen einzureden. Aber dann schlägt sich wieder eins den Kopf an oder verknackst sich den Knöchel, und schon bilde ich mir wieder ein, es ist meine Schuld …«
Das Telefon auf Thornes Schreibtisch klingelte, und Kitson unterbrach sich.
Es war der Pförtner. Er teilte mit, jemand sei an der Schranke vorgefahren und wolle ihn sprechen.
Eigentlich war die Frau – hatte der Pförtner erklärt – nicht gekommen, um ihn persönlich zu sprechen. Thorne war nur zufälligerweise zu dem Zeitpunkt das hochrangigste Mitglied des Team 3 im Gebäude gewesen. Ob dies Glück oder Unglück oder beides zugleich war, sollte Thorne noch lange beschäftigen.
Die Frau stand, als er nach unten kam, in dem kleinen Empfangsbereich. Thorne nickte dem Beamten hinter dem Schreibtisch zu und ging zu ihr hinüber. Sie war Mitte dreißig und eher groß, auf alle Fälle größer als er. Ihre Haare hatten dieselbe Farbe wie die Korkpinnwand hinter seinem Schreibtisch, und ihr Teint war so hell wie die Tapete dahinter. Sie trug eine modische graue Hose und eine passende Jacke, und Thorne überlegte – warum auch immer –, ob sie wohl beim Finanzamt arbeitete.
»Haben Sie einen Parkplatz gefunden?«, fragte er. Andererseits hatte er sich Finanzbeamte nie so attraktiv vorgestellt …
Sie nickte und streckte eine Hand aus, die Thorne schüttelte. »Ich bin Alison Kelly«, sagte sie.
Womöglich hielt sie den verblüfften Ausdruck auf Thornes Gesicht für Ahnungslosigkeit, denn sie wiederholte ihren Namen und setzte dann zu einer weiteren Erklärung an. »Jessica Clarke war meine beste Freundin. Ich bin das Mädchen, mit dem sie verwechselt wurde.«
Thorne ließ ihre Hand los. Plötzlich war er etwas verlegen, sie so lange gehalten zu haben. Es schien sie nicht weiter zu stören. »Entschuldigen Sie, ich weiß, wer Sie sind. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass Sie hier hereinmarschieren oder … Ich habe Sie hier nicht erwartet.«
»Wahrscheinlich hätte ich anrufen sollen.«
Sie sahen sich einen Moment lang in die Augen. Thorne spürte den Blick des Pförtners im Nacken.
»Gut.« Was wollen Sie? Er wollte nicht unhöflich sein, aber genau das beschäftigte Thorne. Doch statt die Frage zu stellen, dachte er darüber nach, wo sie ungestört reden konnten. »Ich finde sicher einen Ort, wo wir uns unterhalten können.« Er deutete auf den Ausgang. »Oder möchten Sie lieber spazieren gehen oder etwas …«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist eisig kalt draußen.«
»Bald ist Frühling …«
»Zum Glück.«
Becke House war das Hauptquartier und keine normale Polizeiwache, was bedeutete, dass es auch keine Räume für Befragungen oder Verhöre gab. Neben dem Schreibtisch am Empfang befand sich ein Kämmerchen, das in Notfällen gelegentlich für diesen Zweck genutzt wurde, oder zur Lagerung der Getränke, wenn jemand eine Party schmiss. Ein Tisch und ein paar Stühle, ein paar wacklige Schränke, das war’s. Thorne öffnete die Tür, um nachzusehen, ob das Zimmer leer war, und bat Alison Kelly herein.
»Ich schau mal, ob ich uns Tee besorgen kann«, sagte er.
Sie ging an ihm vorbei und setzte sich. Und dann fing sie an zu reden, bevor er die Türe schließen konnte. »Ich erzähle Ihnen, was ich weiß«, sagte sie. Ihre Stimme war tief und akzentfrei. Die Frau hatte Klasse, ohne ein Snob zu sein. »Sie kommen nicht weiter, wenn Sie versuchen, den Mann zu finden, der vor zehn Tagen Brennspiritus über dieses Mädchen am Swiss Cottage gegossen hat.« Sie hielt inne.
Thorne trat an den Tisch und nahm Platz. »Ich bin mir nicht ganz sicher, welche Reaktion Sie von mir erwarten …«
»Drei Tage zuvor versuchte jemand den Mann umzubringen, der wegen des Überfalls auf Jess im Gefängnis sitzt. Er stach ihn mit einem zugespitzten Pinsel in den Bauch. Dass es da eine Verbindung gibt, liegt auf der Hand.
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