Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
Sie erzählten ihm, wie sie einmal, während sie schliefen, von einem Graffitisprayer voll gesprüht wurden und wie sie mal eine Bande Halbwüchsiger voll pinkelte. Wie Caroline einmal das Interviewangebot einer Fernsehtussi ablehnte und sie aufforderte, sich ins Knie zu ficken. Über die Wohnung, in die sie gemeinsam ziehen wollten, wenn sie zur Abwechslung mal so was wie eine Glückssträhne hatten.
»Die ist nämlich überfällig, verstehst du?«
»Klar«, sagte Thorne.
Am meisten redete Spike. So normal wie jetzt war der Junge wahrscheinlich selten: ein paar Stunden im Gleichgewicht, im Zustand der Erstarrung zwischen einem Schuss und der Gier nach dem nächsten. Dieser Zustand war eine Chance, doch die wurde mit jeder Minute kleiner.
»Jeder verdient ein bisschen Glück, oder?«
Caroline redete nur wenig, und wenn, dann murmelte sie leise. Sie sprach in dem leicht näselnden West-Midland-Akzent, aber gleichzeitig war noch ein anderer, stärkerer Einfluss herauszuhören.
Heroin brachte eine ganz eigene Art zu reden hervor.
Am anderen Ende des Tisches zischte es plötzlich laut. Der Dicke bekam wieder eine Nachricht. Thorne hing gebannt an seinem roten Gesicht und den feisten, flatternden Händen.
»Das ist Radio Bob«, erklärte Spike. Er beugte sich vor und rief: »Oi, Bob. Sag Hallo, du Sack …«
Ein Paar kleiner dunkler Augen blinzelte, schoss wild in der Gegend herum und blieb schließlich an Thorne hängen. »Houston, wir haben ein Problem …«, sagte Radio Bob.
Spike schniefte und deutete auf einen Mann am Nebentisch. »Und das ist Moony«, sagte er. »Er kannte Paddy gut.«
»Ja wirklich?«
Spike rief dem klapperdürren Kerl mit dem schütteren, gelblichen Bart etwas zu und winkte ihn herüber an ihren Tisch. Die strohgelbe Matte auf seinem Kopf verbarg die Schuppen weitaus besser als das breite Revers seiner schmuddligen braunen Jacke.
»Das ist Tom«, sagte Spike.
Moony spielte mit dem Deckel der Cola-Plastikflasche, die er in seine Tasche gezwängt hatte. Kochsherry, vermutete Tom. Es war bestimmt lange her, dass die Flasche etwas so Harmloses wie Coca-Cola beinhaltet hatte.
»Gib mir ein paar Minuten«, sagte Moony, als er sich setzte. Seine Stimme war hoch und leise, hatte fast etwas Affektiertes. »Nur eine Minute, und ich sag dir, was du machst. Ich sag dir, was du gemacht hast , mein ich. In deinem früheren Leben. Ich irre mich nie, niemals. Ich hab das raus …«
Thorne gab mit einem Grunzen zu erkennen, dass er daran nicht sonderlich interessiert war.
Spike zog Caroline hoch und ging an die Theke. »Geh Tee holen.« Er verzog das Gesicht und bellte mit einem aufgesetzten schnöseligen Akzent: »Und einen Toast, falls die hier so was haben.«
Moony sah ihnen mit leerem Blick nach, während er um den Hals seiner Flasche strich.
Thorne hätte gerne gewusst, ob Moony sein Nachname oder ein Spitzname war, doch er fragte lieber nicht nach. Falls Letzteres zutraf, war nicht klar, worauf er sich bezog. Ein Mondgesicht hatte er nicht, hager und aknevernarbt, wie er war. Vielleicht neigte er dazu, den Leuten seinen Hintern zu zeigen, wenn er zu viel getrunken hatte. In diesem Fall war – nach seinem Zustand zu schließen – mit einem Mondaufgang zu rechnen. Und nach seinem Gestank.
»Hast du den armen Teufel gekannt, den sie halb totgetreten haben?« Thorne stellte die Frage so beiläufig wie möglich. »Haynes hieß er, oder?«
»Hayes, genau. Paddy Hayes. Klar hab ich Paddy gekannt. Er wird künstlich am Leben erhalten, haben sie im Fernsehen gesagt. Der wurde zu Brei geschlagen, weiß doch jeder.«
»Genau.« Thorne hatte am Morgen mit Holland über Paddy Hayes gesprochen. Keine Veränderung seines Zustands. Wie erwartet.
»Klar, er kann jetzt nicht denken, aber ob er, wenn er es könnte, wohl noch immer denken würde, dass alles aus einem bestimmten Grund passiert? Ob er noch immer so große Stücke auf IHN da oben setzen würde? Und alles vergeben würde.« Hämisch deutete er mit dem Finger zum Himmel. »Geheimnisvolle Wege, leck mich am Arsch. Ich hab das zweite Opfer auch gekannt, weißt du.«
Raymond Mannion. Wurde vierzehn Tage nach dem ersten Mord gefunden. Drei Straßen weiter. Thorne sah auf, aber nur eine Sekunde. Er wollte keinesfalls übermäßig interessiert wirken.
»Ray und ich, wir haben viel miteinander gequatscht«, sagte Moony, »wirklich viel.«
Thorne schob sich ein Stück Brot in den Mund und überlegte, an wen ihn Moony erinnerte. Dann fiel es ihm
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