Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
sich großzügig zu zeigen. Es ging darum, nicht aufzufallen. Und ihm war verdammt klar, dass sich an diesem Ort niemand so verhalten würde.
Sie rückten vor zur Spitze der Schlange, und Spike trat vor ihn. »Ich besorg uns den Tee.«
Thorne sah Spike dabei zu, wie er vierzig Pence für zwei Tassen Tee zahlte, und erkannte schlagartig, dass er sich auf so gut wie nichts verlassen konnte.
»Und, genug geschlafen?«, fragte Thorne.
Spike grinste. »Hab mich noch gar nicht hingelegt. War viel los heut Nacht. Ich hau mich später ein paar Stunden aufs Ohr.«
»Wo schläfst du denn?«
Spike wirkte zerstreut, er nickte sich selbst zu. Thorne wiederholte seine Frage.
»In der U-Bahn am Marble Arch. Ins West End komme ich nur tagsüber, um ’n bisschen Kohle ranzuschaffen.« Wieder grinste er. »Ich bin Pendler.«
Thorne lachte und schlürfte an seinem Tee.
»Der Laden ist nicht schlecht«, meinte Spike. Er beugte sich tief über den Tisch und senkte die Stimme. Thorne konnte noch einen letzten Hauch von Akzent ausmachen. Spike kam wahrscheinlich aus dem Südwesten. »Solche Zentren gibt’s nicht viele, wo Leute unter und über fünfundzwanzig hingehen. Die meisten sind nur für die einen oder die anderen. Ist ihnen lieber, wenn wir nicht zusammenkommen.«
Thorne schüttelte den Kopf. »Warum das?«
»Eigentlich logisch, wenn man drüber nachdenkt. Die Älteren haben sich im Lauf der Zeit eine Menge schlechter Angewohnheiten zugelegt. Und jetzt kommt jemand, der neu ist auf der Straße. Wenn der ein paar Wochen mit so einem alten Hasen zusammen ist, ist er ein Suffkopf oder verkauft seinen Arsch oder was weiß ich.«
Klang vernünftig, fand Thorne, allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. »Ja, aber schau uns an. Ich bin zwanzig Jahre älter als du, und du kennst dich aus hier.«
Spike lachte. Thorne lauschte auf seinen rasselnden Atem und sah in die stecknadelgroßen Lichtpunkte seiner winzigen Pupillen.
Du bist der mit der schlechten Angewohnheit.
Es war Thorne bereits am Abend zuvor aufgefallen, da hatte der Schein der Straßenlampe auf Spikes schweißglänzender Stirn die wächserne Blässe seines Gesichts hervorgehoben. Jetzt war klar, dass sein letzter Fix noch nicht lange zurücklag, und ohne den, das wusste Thorne, würde er kein Auge zutun.
»Kannst du dir keinen Platz in ’nem Wohnheim besorgen?«
»Ist mir im Augenblick nicht wirklich wichtig. Solange ich morgens nicht mit Raureif bedeckt bin, keine Frage. Aber im Augenblick komm ich gut klar. Ich war schon in vielen Wohnheimen, aber ich bin irgendwie nicht der Typ dafür. Ich bin zu … chaotisch, das ist es wohl. Chaotisch. Ein paar Tage oder eine Woche lang geht alles klar, und dann bau ich Scheiß und lande wieder auf der Straße, also …«
Spike hatte immer schleppender gesprochen, während er den Blick auf eine Stelle rechts über Thorne fixierte. Nun senkte er langsam den Kopf und wandte sich um. Die Augen schienen ihm widerstrebend zu folgen. »Ich glaube … es ist Zeit zu schlafen.«
Thorne zuckte die Achseln. Typisch Junkie.
Spike rutschte langsam mit seinem Stuhl zurück, machte jedoch keine Anstalten aufzustehen. Auf der anderen Seite des Raums waren laute Stimmen zu hören, aber als Thorne hinübersah, hatte sich der Aufruhr, oder was immer es war, gelegt.
»Vielleicht sehen wir uns ja mittags wieder hier.«
»Vielleicht«, antwortete Tom.
»Und, reicht’s schon?«, fragte Brendan Maxwell.
Thorne ignorierte die sarkastische Bemerkung. »Erzähl mir von Spike«, sagte er.
Sobald der Frühstücksansturm vorüber war, hatte Thorne die Cafeteria verlassen. Von Holland wusste er bereits, dass Phil Hendricks vorbeischauen würde, und Thorne wollte ihn unbedingt sehen. Er machte sich heimlich auf zu den Büroräumen. Der Verwaltungsbereich befand sich im ersten Stock, am hinteren Ende. Von Maxwell hatte er den vierstelligen Personalcode erhalten, um durch die Türen zu gelangen. Hier war jede Tür mit einem Schloss mit Zahlencode versehen.
Da das Großraumbüro ein ungestörtes Gespräch unmöglich machte, hatten Thorne, Maxwell und Hendricks sich in einen kleinen Besprechungsraum weiter hinten im Gebäude zurückgezogen. Wenn jemand hereinplatzte, ließe es sich als eine Art Konferenz zwischen Sozialarbeitern und Klient verkaufen. Sie wollten sich ohnehin nur gegenseitig schnell aufs Laufende bringen.
Maxwell saß neben Hendricks auf der Tischkante. »Er ist noch nicht fünfundzwanzig, deshalb gehört Spike auch
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