Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
mein in diesem Fall.« Holland entging nicht, dass Kitson sich auf den Schlips getreten fühlte, ihn irgendwie falsch verstanden haben musste. Er versuchte, die Sache gerade zu biegen. »War ja von Anfang an eine zähe Angelegenheit, oder?«
»Das ist mir doch egal. Mann, was ist denn das für eine Einstellung?«
»Ich wollte damit auf nichts anspielen …«
Kitson schob den Arm durch den Bügel ihrer Handtasche und hängte sie sich auf die Schulter. »Tut mir Leid, Dave. Ich bin einfach sauer, deshalb überreagiere ich ein bisschen.«
Sie ging zur Tür, und Holland folgte ihr.
»Ist alles in Ordnung?« Bereits als er die Frage stellte, erschien sie ihm sinnlos. Kitson erzählte so gut wie nichts mehr über ihr Privatleben.
»Mein ältester Sohn wurde gestern wegen einer Schlägerei von der Schule nach Hause geschickt. So ein kleiner Widerling hatte seinen jüngeren Bruder angemacht.« Sie konnte das Grinsen nicht verbergen. »Natürlich bin ich insgeheim riesig stolz auf ihn
Holland öffnete ihr lächelnd die Tür.
Kitson war in letzter Zeit wirklich wieder auf die Beine gekommen. Vor ein paar Jahren hatte sie als Rollenvorbild für die aufstrebenden jungen Polizeibeamtinnen gegolten: beruflich auf der Überholspur und ein augenscheinlich harmonisches Familienleben. Dann machte das Gerücht die Runde, ihr Mann sei dahinter gekommen, dass sie ein Verhältnis mit einem Vorgesetzten habe, worauf er zu Hause ausgezogen sei und die drei Kinder mitgenommen habe. Die Kinder hatte sie zwar schnell wiederbekommen, aber alles andere ging ziemlich fix den Bach runter. Das lag weniger an der Affäre selbst als an der Tatsache, dass jeder davon wuss te. Doch mit der Zeit kam sie drüber weg.
Zumindest hatte sie bewiesen, dass sie hart im Nehmen war.
In den letzten Monaten war sie wieder ihr altes Selbst. Mit ihrer Karriere würde es nicht mehr ganz so rasant nach oben gehen, aber das schien ihr nicht so viel auszumachen. Sie hatte sogar wieder jemanden kennen gelernt. Und ihr neuer Freund war bestimmt kein Bulle. »Der kann das Strafgesetzbuch nicht von seinem Hintern unterscheiden«, verkündete sie fröhlich.
Thorne hatte müde von seiner Ausgabe der Police aufgeschaut. »Da geht es einer Menge Bullen nicht anders …«
Merkwürdig, während es bei Kitson gerade wieder bergauf ging, entsprach Thornes Leben plötzlich dem freien Fall. Jetzt, da Thorne nicht da war, schmiss sie den Laden. Sie hatte den direkten Draht zu Brigstocke, der als nomineller Senior Investigating Officer genug mit der Presse und dem Druck von oben zu tun hatte.
Auf dem Weg aus dem Autopsieraum sah Holland Hendricks und Jago auf einer Bank am Ende des Gangs sitzen. Jago schluchzte und schüttelte den Kopf. Hendricks hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt.
Holland und Kitson gingen leise plaudernd auf die beiden zu.
»Wie gesagt, sie ist erleichtert.«
»Wenn sie jetzt so weint …«
Kitson warf ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu. »Dann hat sie keine Tränen mehr übrig, falls ihr Bruder tatsächlich als Leiche auftaucht.«
»Ich hatte den Eindruck, als rechnete sie damit.«
Sie erreichten die grüne Plastikbank. Jago sah zu den beiden auf. Stieß schluchzend ein ersticktes »’tschuldigung« hervor.
»Seien Sie nicht albern, Susan«, sagte Holland.
»Sie möchten sicher so schnell wie möglich hier raus«, sagte Kitson. »Ich wollte nur noch ein paar Dinge abklären.« Auf ihren Blick hin rückte Hendricks ans Bankende, und Kitson setzte sich neben Jago. »Ich verstehe nämlich nicht ganz, warum Sie zunächst dachten, bei dem Mann auf dem Foto handle es sich um Ihren Bruder. Natürlich ist es kein Foto in dem Sinn, aber Sie klangen so sicher, als Sie uns anriefen.«
Jago brauchte etwas, bis sie ihre Tränen so weit unter Kontrolle hatte, dass sie antworten konnte. »Er sieht aus wie Chris …« Sie sprach mit einem deutlichen Akzent.
Mit einem Kopfnicken Richtung Autopsieräume meinte sie: »Der arme Teufel sah Chris verdammt ähnlich. Das ist nicht einfach, verstehen Sie? Ich hab ihn so lange nicht mehr gesehen, dass ich gar nicht sagen kann, wie er jetzt aussieht. Ob er abgenommen hat oder sich einen Bart hat wachsen lassen oder was auch immer …«
»Das versteh ich, aber trotzdem …«
»Er ist es auf keinen Fall. Die Narbe hat gefehlt.« Sie rieb sich den rechten Arm oberhalb des Ellbogens. »Chris ist als Kind mit dem Arm in einem Stacheldraht hängen geblieben. Als er einen Ball holen wollte.«
»Aha …«
»Und
Weitere Kostenlose Bücher