Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
London kam. Es war mehr oder weniger immer dieselbe Geschichte in diesen Städten auf dem Land. Die Kids erreichten ein bestimmtes Alter, wussten nicht mehr, was sie mit ihrer Zeit anstellen sollten, und suchten etwas, um der Langeweile zu entkommen. Normalerweise fanden sie es im Suff, in Drogen oder in der Kriminalität oder einer Kombination aus allen dreien. Andere fühlten sich zu Städten hingezogen, wo sie verwandte Seelen vermuteten, von denen sie sich Hilfe in ihrem Unglück erhofften. Vielen erging es dann in London, Manchester und Edinburgh nicht viel besser als zu Hause, aber zumindest waren sie nicht allein. Sie waren dort vielleicht genauso dem Untergang geweiht, aber wenigstens waren sie keine solchen Freaks wie zu Hause.
»Sie haben dich gegen Auflagen rausgelassen? Wenn du jemanden bräuchtest, der für dich zahlt, damit du rauskommst … hättest du da jemanden?«
Thorne sagte nichts. Hendricks vielleicht, dachte er. Oder Holland, wenn es sein müsste. Aber sonst …
»Bei mir wär’s wohl meine Schwester«, sagte Spike. »Wer sonst? Sie hat mich vor einem Jahr oder so rausgehauen, als ich mit meinem Stoff und dem von Caroline in der Tasche erwischt worden bin und sie mich wegen Dealen eingelocht haben. Zusammen mit diesem anderen Typen. Da hat meine Schwester die Kaution auf den Tisch gelegt und mir obendrein noch ein paar Scheine in die Hand gedrückt.« Er ließ den Kopf sinken, und als er ihn wieder hob, lächelte er. Er verdrehte die unter dem Licht der Straßenlaterne schmutzig weißen, rot geäderten Augäpfel nach oben. »Sie wollte für mich sorgen, weißt du? Damit ich nicht abstürze. Ich hab ihr gesagt, dass ich echt versuche, clean zu werden, aber dann bin ich sofort losgezogen und hab mir den nächsten Schuss besorgt, mit ihrem Geld. Überraschung, Überraschung. Ich glaub, tief in ihrem Inneren war ihr das klar. Sie hat mich immer durchschaut. Sie kennt mich besser als jeder andere.« Eine halbe Minute lang starrte er Thorne an. Dann blinzelte er langsam. »Sie weiß Bescheid.«
Thorne nickte. Aus einem Club in der Nähe war das tiefe Dröhnen eines Basses zu hören. Es war noch keine zwei Uhr.
»Ich müsste schon tief in der Scheiße stecken, um sie noch mal um Hilfe zu bitten. Richtig tief. Weißt du, was ich meine? Mir ist nämlich total klar, dass ich sie nur enttäusche, und das Leben ist schon hart genug ohne diese ständigen Schuldgefühle. Nicht dass sie es sich nicht leisten könnte, nee. Ihr geht’s super. Sie hat einen echt coolen Job, ein klasse Auto und eine todschicke Wohnung in den Docklands und den ganzen Kram. Es ist mir nur inzwischen total wichtig, ohne meine Schwester klarzukommen. Ich bin am Arsch, das weiß ich. Wir sind alle total am Arsch. Was immer passiert, ich will sie nicht mehr enttäuschen …«
Spike schlug die Zeitung auf und drehte sie um. Er starrte auf die Titelseite und las murmelnd die Schlagzeile. Thorne saß zwei Meter entfernt und beobachtete ihn. Aber selbst wenn er direkt neben ihm gesessen hätte, hätte er unmöglich sagen können, ob Spike wirklich wahrnahm, was er vor Augen hatte.
Falls ja, musste er irgendetwas wahnsinnig lustig finden, denn er fing plötzlich an zu lachen. Kicherte ein, zwei Minuten vor sich hin.
Thorne wünschte sich, er könnte sich auch so darüberamüsieren.
Einundzwanzigstes Kapitel
»Dan Britton ist nicht hier«, sagte McCabe. »Falls Sie gekommen sind, um sich zu entschuldigen.«
Nichts hätte Tom Thorne ferner liegen können. »Noch immer stinksauer, oder?«
Sie standen an der Ecke Agar Street, keine dreißig Meter von der Charing Cross Station entfernt. Thorne hatte dem Beamten in der Polizeiwache gesagt, er müsse dringend Inspector McCabe sprechen. Und zwar draußen.
»Ich werd es ihm sagen«, hatte der Beamte gemeint. »Wahrscheinlich ist er aber bis über beide Ohren mit Arbeit eingedeckt.«
Thorne hatte sich über den Tresen gebeugt. »Sagen Sie ihm, ich habe Informationen, durch die sich vielleicht ein größerer Anschlag verhindern lässt …«
Draußen peitschte der Wind den Abfall vor die vorbeifahrenden Autos. »Ich hab die Zeitung gelesen.« Wieder dieses schiefe Lächeln. »Üble Sache.«
»Wird noch viel übler, wenn ich ihm die Nase ein zweites Mal breche.«
»Wagen Sie es nicht einmal, daran zu denken, einen meiner Männer anzugreifen.«
»Irgendjemand hat den Mund zu weit aufgerissen.« Thorne war sofort klar, was er da gesagt und welche Steilvorlage er damit geliefert
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