Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
gebraucht hatte; wie froh er war, dass Yvonne Kitson ihm Gesellschaft geleistet und er etwas Dampf abgelassen hatte. Thorne hatte wahrscheinlich niemanden, mit dem er einen heben und über das Gesehene reden konnte. Und der ihm sagte, dass er genug getrunken hatte.
Wider alle Vernunft hatte er von Anfang an zu Thorne aufgeblickt, doch selbst Holland musste zugeben, dass die Zukunft des DI alles andere als rosig aussah. Durchaus denkbar, dass sie ihn umgehend abziehen würden. Und selbst wenn man ihm erlaubte weiterzumachen, was hatte er danach zu erwarten? Er würde wieder zu Scotland Yard abgeschoben, mit der Begründung, er sei noch immer nicht über den Tod seines Vaters hinweg. Dieses neueste Missgeschick würde ihm nicht gerade helfen, in die Murder Squad zurückzukehren, was ohnehin schon schwer genug war, wie jeder sehen konnte, der Augen im Kopf hatte. Es gab genug Leute, denen Thornes Anwesenheit ein Dorn im Auge war.
Holland sah zum Zugfenster hinaus. Der Zug stand, schon eine Weile. Er blickte auf die Uhr. Er hatte zu Hause angerufen, dass er später käme, und jetzt würde es noch später werden. Sophie störte so etwas nicht übermäßig. Er hatte zunehmend das Gefühl, es war ihr lieber, wenn er nicht da war. Aber er wollte zu Hause sein, bevor Chloe zu Bett gebracht wurde.
Der Zug fuhr mit einem Ruckeln los. Kitson öffnete kurz die Augen und schloss sie wieder. Der Regen lief über das Fenster, und irgendein Wichser im Sitz hinter ihnen quatschte viel zu laut in sein Handy.
Später wollte Holland Thorne anrufen und ihm erzählen, wie es beim Regiment gelaufen war. Und wie es bei ihm gelaufen war.
Zwanzigstes Kapitel
Gefühle wie Zorn und Scham, Gier und Hass hatte Thorne im Lauf der Jahre ausreichend kennen gelernt. Worunter er kaum zu leiden hatte, waren Schuldgefühle. Vermutlich lag das daran, dass er sein Leben damit zubrachte, jene zu fassen, die darin hätten ertrinken müssen. Natürlich fühlten viele, die Unvorstellbares verbrochen hatten, überhaupt nichts, aber die meisten, selbst die ohne einen Funken religiöse Überzeugung, sahen zumindest ein, dass sie Schuld empfinden sollten. Für Thorne war das immer ganz einfach.
Nicht dass ihm Schuldgefühle völlig fremd gewesen wären. Seine waren nur von der angenehmen Sorte, und sie folgten in der einen oder anderen Art der Maßlosigkeit. Aber sie quälten ihn nie sehr lange und ließen sich meist schnell neutralisieren, indem er den vergessenen Anruf machte und sich ein Herz nahm, das unangenehme Gespräch führte, das er vor sich hergeschoben hatte. Er litt kurz und kam gut damit zurecht.
Doch zurzeit löschten sie alles andere fast aus …
Er hatte den Großteil des Nachmittags damit verbracht, am Strand herumzuhängen, ein paar Stunden zu betteln, mit den Jungs zu quatschen, die am Adelphi soffen, und war dann zur Suppenküche getrottet. Nun, da der Tag vom Grau ins Rabenschwarze wechselte, schob er sich langsam durch die letzten im Hof des Somerset House verbliebenen Touristen. Dieser aus dem achtzehnten Jahrhundert stammende Palast hatte zu verschiedenen Zeiten als Finanzamt, Standesamt und Unterkunft für Oliver Cromwells New Model Army gedient. Heute war es eine Touristenattraktion unter vielen: ein Ort, an dem man geschichtsträchtige Schnappschüsse machen konnte. Oder ein beliebter Treffpunkt für Familien im Winter, wenn die Brunnen durch eine Schlittschuhbahn ersetzt wurden. Thorne fiel ein, dass hier die bescheuerte Schlittschuhszene für diesen bescheuerten Film gedreht worden war, in dem Hugh Grant den Premierminister spielte. Genau, einer dieser Postkartenfilme, wo London wie ein Traum in Bobby-Blau und Doppeldeckerbus-Rot erschien. Wo der Schnee niemals braun und matschig wurde und ethnische Minderheiten nirgends zu sehen waren. Wo niemand auf der Straße schlief und dies nicht etwa daran lag, dass Penner von der Platte vertrieben oder totgetreten wurden.
Als Holland am Abend zuvor anrief, hatte Thorne mit seinem Frust und Ärger nicht hinter dem Berg gehalten: darüber, wie es unten in Somerset gelaufen war, - über die höflichen Nachfragen wegen des Fiaskos am Charing Cross. In Wirklichkeit hatten ihn seine Schuldgefühle halb aufgefressen. Er versaute alles, nicht nur für sich selbst.
Er hatte es aus Hollands besorgter Stimme genauso herausgehört wie aus den lauten und unverhohlenen Beschimpfungen Brigstockes. In seiner letzten Bemerkung in der Tür des Verhörraums, als er meinte, Thorne sehe nun auch aus wie
Weitere Kostenlose Bücher