Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
Metaphern hatten schon etwas Lächerliches, fand Holland: Einige Fälle waren inzwischen so kalt, dass keine Flamme der Welt was ausrichten konnte. Die Leute an den Schalthebeln der Macht hatten ihre eigene Ausdrucksweise dafür: Sie benutzten gerne Phrasen wie »in der Priorität zurückstufen«.
Beinahe hörte er Thorne lästern.
»In der Priorität zurückstufen, was den Einsatz der Männer angeht. Oder das Geld. Sag mal der Familie eines Opfers, dass ihr Fall gerade zurückgestuft wurde …«
Holland war klar, dass sie sich nur zufrieden geben konnten, wenn sie den Mann erwischten, der die Exsoldaten umbrachte. Das war ihre Priorität. Die Entscheidung, das Video zu diesem Zeitpunkt unter Verschluss zu halten, war für ihn nachvollziehbar. Dennoch hoffte er, dass zur gegebenen Zeit ebenso viel Mühe in die Ermittlung wegen Mordes an den vier irakischen Soldaten fließen würde, auch wenn einige oder alle der dafür Verantwortlichen dann bereits tot waren.
Kitson hielt auf dem Weg nach draußen kurz inne. »Ich halte euch dann nicht länger auf.«
»Männergespräche«, sagte Holland.
Brigstocke schürzte die Lippen und nickte in gespieltem Ernst. Gab sich albern, um den Scheiß zu überspielen. »Genau. Interessiert Sie ja nicht die Bohne …«
Auf dem Weg zurück in die Einsatzzentrale versuchte Yvonne Kitson sich nicht allzu sehr über die Sache zu ärgern. Sie hatte letztes Jahr zu viel von diesem Mist über sich ergehen lassen müssen. Als man sich im Pub und am Wasserspender das Maul über sie zerrissen hatte.
Die Besprechung mit Brigstocke heute Morgen hatte sie wie alle anderen konsterniert. Natürlich hatte sie den Artikel im Standard gelesen, aber es aus dem Munde des DCI selbst zu hören war etwas anderes. Dass Undercoveroperationen geheim bleiben mussten, um erfolgreich zu sein, war ihr klar. Dennoch fand sie, als DI hätte man sie ins Vertrauen ziehen, zum inneren Kreis zählen müssen.
Doch sie hatte weder Brigstocke noch sonst jemandem gegenüber ihre Gefühle gezeigt. Auch das hatte sie letztes Jahr gelernt. Als Brigstocke sie fragte, wie das Team es aufgenommen hatte, hatte sie gelogen.
Hoffentlich war sie darin geschickter gewesen als er und Holland.
Sie ging zurück in die vor Geschäftigkeit brodelnde Einsatzzentrale. Dabei fragte sie sich, warum ausgerechnet die Leute, deren Job darin bestand, die Wahrheit herauszufinden, sich beim Lügen anstellten wie die blutigsten Amateure.
* * *
Er kam nur zum Arbeiten ins West End. Was sollte er sonst hier? Shoppen oder ausgehen konnte man genauso gut zu Hause, und ihm war es lieber, sich nicht zu weit von seiner Wohnung zu entfernen. Nicht dass er es weit gehabt hätte. Es lag nicht am Stress oder so, dass er nicht gern in die Stadt fuhr. Die Londoner City machte ihn einfach fertig. Wenn er nach Hause zurückkam und der Adrenalinschub vom Job abgeklungen war, fühlte er sich kaputt und ausgelaugt. Nur noch dieser dumpfe Schmerz, als beschwere sich ein überanstrengter Muskel.
Das West End war voller Gier.
Wo immer man hinblickte, streckte es die grindige Hand aus. Überall Sandwichbuden oder Neonanzeigen und hundert ausländische Studenten mit tausend blödsinnigen Flugblättern. Jeder wollte was, nicht nur diese armen, nutzlosen Arschlöcher, die nicht wussten, wohin. Alle waren sie auf etwas aus: die Leute, die in den Läden und hinter den Fast-Food-Theken arbeiteten, die in den Autos und die, die so eilig zu Fuß unterwegs waren. Vor sich hin brummten und schimpften und aussahen, als könnten sie jeden umbringen, der sich ihnen auch nur eine Sekunde in den Weg stellte. Sie alle wollten etwas – dein Geld oder deine Zeit oder deine Scheißaufmerksamkeit –, und wenn es einem absolut wichtig war, dass sie nichts bekamen, dass sie einen nirgends zu fassen kriegten, war es entscheidend, der Herr im Ring zu bleiben.
Er lief durch die Straßen in Soho und Covent Garden, durch die Orte, die er besuchen musste. In seiner Tasche hatte er eine Liste mit ihren Namen, und er hatte sie schon fast alle durch. Er bog von der Dean Street in die Old Compton Street und lief Richtung Piccadilly. Vorbei an den Säufern und den voll gekoksten Werbewichsern. An einem wild zerzausten Penner, der schwer atmend im Eingang einer S&M-Boutique stand und auf die Welt einschimpfte.
Beim Laufen wurde ihm klar, woher der dumpfe Schmerz kam. Von der Anstrengung, sich zurückzuhalten. Das machte einen fertig. Sich von den Angeboten und Bitten abzuschotten,
Weitere Kostenlose Bücher