Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
Stadtplanausschnitts, eine Fahrzeugnummer und das Foto einer Frau, die zusammengeschlagen worden war. Porter starrte auf die vertraute Ermittlungslandschaft, das Herzstück eines Falles, von dem sie keine Ahnung hatten. Aber Thorne wusste, dass ihr Verstand raste, sie sich mit Zweifeln und Vermutungen über ihren eigenen Fall quälte. Voll war von dessen flatterigem, unregelmäßigem Herzschlag.
»Sind wir uns wirklich sicher, dass das richtig ist?«, fragte Porter. »Wir könnten doch auch auf Nummer sicher gehen und tun, was er verlangt hat. Welchen Schaden könnte es schon anrichten, Mullen hierher zu bringen?«
»Es geht nicht darum, auf Nummer sicher zu gehen. Es geht darum, sich von einem Verdächtigen nichts diktieren zu lassen, außer es bleibt einem nichts anderes übrig.«
»Also geht es darum, wer sagt, wo’s langgeht?«
»Ich will Mullen nicht hier haben.«
»Ich denke an Luke.«
»Ich auch.« Thorne versuchte, nachdenklich zu klingen anstatt gereizt, war sich aber nicht sicher, ob er damit durchkam.
»Können wir es uns denn leisten, nicht auf Freestones Bitte einzugehen?«
»Auf seine Forderung.«
»Macht das einen Unterschied?«
»Er schikaniert uns.«
»Das werden wir hoffentlich bald wissen.«
»Warum besteht er überhaupt auf einem Vieraugengespräch mit Mullen? Was soll die ganze Geheimniskrämerei?«
»Schauen Sie, ich trau ihm genauso wenig über den Weg wie Sie, aber …«
»Ich trau keinem von beiden«, unterbrach Thorne sie.
Porter verdrehte die Augen, stimmte ihm aber anscheinend zu. Bis zu einem gewissen Grad zumindest.
Thorne sah ihr zu, wie sie das Päckchen hob, den Kopf zurücklegte und sich die letzten Chipskrümel in den Mund schüttete. Noch immer kauend deutete sie mit dem Kopf zur Tür, wo Brigstocke und Hignett wie zwei Leichenbestatter standen, die gekommen waren, um einen Toten abzuholen.
»Bringen wir’s hinter uns?«, fragte Brigstocke.
Die vier nahmen die Treppe nach unten ins Erdgeschoss, Porter und Hignett ein paar Schritte vor den beiden von der Murder Squad. Thorne fand, dass Brigstocke müde aussah. Wahrscheinlich bekam der DCI noch weniger Schlaf als er.
Als sie auf den Treppenabsatz traten und die anderen bereits einen größeren Vorsprung hatten, wandte sich Brigstocke zu Thorne. »Haben Sie und Porter schon eine Idee, wie Sie das machen wollen?«
»Wir dachten, wir entscheiden aus der Situation heraus«, antwortete Thorne.
Brigstocke ging ein paar Schritte weiter und schüttelte den Kopf. »Gott steh uns bei …«
Auf dem Weg zu den Untersuchungshaftzellen kam ihnen Yvonne Kitson entgegen. Thorne ließ die anderen vorausgehen.
»Ganz schön was los hier, heute«, sagte er. »Ich hab gehört, Sie haben Ihren Schuljungen reingebracht.«
Kitson lächelte. »Nach allem, was man hört, läuft’s bei Ihnen auch nicht schlecht.«
»Wenn wir beide mal fünf Minuten Zeit haben, sollten wir einen heben gehen.«
»Wenn alles gut geht.«
»Haben Sie schon mit Farrell gesprochen?«
»Bin gerade auf dem Weg«, sagte Kitson. »Er wartet schon im Bau.« Sie schwenkte einen Stapel Unterlagen und reichte sie Thorne, damit er einen Blick darauf werfen konnte.
Thorne studierte den Untersuchungshaftbefehl: eine Reihe von Unterlagen, die der gesetzliche Vertreter des Verdächtigen ausgehändigt bekam – entweder alle auf einmal oder tröpfchenweise, wenn dies strategisch ratsam schien. Nach dem Gesetz hatte der gesetzliche Vertreter Anspruch auf sämtliche Unterlagen, vom fertigen Haftbefehl bis zur »ersten Beschreibung« – was in diesem Fall die Aussage Nabeel Khans am Tatort war, die wortwörtlich aus dem Notizbuch des damals diensthabenden Beamten kopiert worden war. Thorne überflog die Kopien des belastenden elektronischen Fahndungsfotos und das Protokoll von Farrells Verhaftung, bevor er auf das Blatt mit dem Ergebnis der Videogegenüberstellung deutete. »Damit sollten Sie den Sack eigentlich zumachen können.«
»Für den Zeugen war es nicht einfach.« Kitson blinzelte, als wolle sie eine Erinnerung verscheuchen, schaffte es dann aber zu lächeln. »Aber diesem Besserwisser von Anwalt wird es Feuer unter dem Hintern machen.«
»Einer von denen?«
»Sie kennen die Kanzlei: Besserwisser, feiner Pinkel und von Blödmann.«
»Die kenn ich nur zu gut … «
Sie lachten und liefen gemeinsam weiter zu den Verhörräumen, durch die Tür, die die Untersuchungshaftzellen von der Polizeiwache trennte.
Hier betraten sie einen anderen Bereich. Der
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