Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
sie wollte es hinter sich bringen.
Hier waren Hunderte von Akten, von denen jede Dutzende von Berichten und Beurteilungen enthielt. Natürlich brauchte sie nicht alle zu lesen, nicht einmal einen Großteil davon, aber es hatte sich schnell gezeigt, dass es nicht mit fünf Minuten getan war. Selbst wenn sie Kathleen Bristows Akten nur überflog.
Die Akten waren alphabetisch nach Klientennamen geordnet. Während sie unter »F« suchte, blieb Porter immer wieder an Fallberichten hängen, von denen sie genau wusste, dass sie für ihre Suche ohne Bedeutung waren. Wahrscheinlich galt für diese Unterlagen noch immer strenge Vertraulichkeit, obwohl es sich um die Exklienten einer toten Frau handelte. Aber das hielt sie nicht davon ab, sie zu lesen. Sie war fasziniert und gelegentlich entsetzt. Francis Bristow hatte recht gehabt, als er sagte, seine Schwester habe mit mehr als ein paar »Verrückten« zu tun gehabt.
Die Unterlagen über Grant Freestone gaben Fleisch auf die Knochen, die sie bereits kannte. Aber nichts daran schien wirklich Neues zu bringen. Darunter waren Abschriften von Befragungen aus dem Gefängnis und Aussagen mehrerer Sozialarbeiter und Therapeuten, die ihn während seiner Haft sahen, aber sie fand nichts, was sich auf die Maßnahmen des MAPPA-Ausschusses bezog, die nach seiner Entlassung in Kraft traten.
Porter war allein im Haus. Sie hatte das Küchenradio mit nach oben genommen und Magic FM eingeschaltet. Als die Songs zu einschläfernd wurden, schaltete sie auf Radio 1 und wippte im Rhythmus zur Musik, als sie einen Stapel brauner und grüner Hängeordner nach dem anderen herauszog.
Sie summte ein Tanzlied mit, das sie kannte, und überlegte, ob Thorne es wohl schon aus dem Büro geschafft hatte. Als er sie vorhin am Telefon fragte, was sie mache, hatte sich das nach mehr als nur einer beruflichen Frage angehört. Aber sie wollte es locker angehen. Sie spürte, dass ihm das, was beinahe passiert wäre, doch etwas zu schaffen machte. Wahrscheinlich war er in dieser Beziehung wie alle Männer: versessen darauf, mit ihr in die Kiste zu hüpfen, aber weitaus weniger versessen, darüber zu sprechen oder gar – was Gott verhüten möge – darüber, was danach kam.
Schließlich fand Porter die MAPPA-Unterlagen und die nach Jahren geordneten Akten. Es gab ein halbes Dutzend prall gefüllter Ordner, die sich auf Grant Freestones 2001er Ausschuss bezogen. Sie hockte sich auf den Boden und sortierte sie: »Risikomanagement«; »Beziehungen«, »Sexualstraftäterprogramm«, »Drogen & Alkohol«. Sie griff sich den Ordner mit der Beschriftung »Protokolle« und zog einen von einer Klemme zusammengehaltenen Stapel heraus. Kathleen Bristow war wie in allen Belangen auch hier peinlichst genau gewesen und hatte die Unterlagen, von denen die meisten handschriftlich waren, streng chronologisch geordnet. Porter blätterte sie bis zum letzten Blatt durch: das Protokoll der Sitzung vom 29. März 2001.
Sie erkannte die Namen unter »Anwesend«. Kein Name war unter »Entschuldigt« aufgeführt.
Porter starrte auf das Datum.
Sarah Hanley war am 7. April gestorben, neun Tage nach der Sitzung. Der Ausschuss hatte sich bis dahin wöchentlich getroffen, und in diesen Protokollen fand sich nichts über einen Beschluss, Hanley über Freestones Vergangenheit zu informieren. Den Beschluss, der gemeinhin als der Grund für ihren Tod galt. Porter sah den Stapel noch einmal durch. Sie hatte das Gefühl, da fehlte etwas, und wollte sichergehen, es nicht übersehen zu haben.
Natürlich war es möglich, dass Kathleen Bristow es vorzog, nach allem, was dann geschah, keine Unterlagen über die letzte Sitzung zu haben.
Es konnte aber auch genau das sein, was der Mörder gesucht hatte.
Porter nahm sich vor, bei Roper, Lardner und den anderen nachzufragen, ob am 5. April, zwei Tage vor Sarah Hanleys Tod, noch eine Sitzung stattgefunden hatte.
Voll frischer Energie, aber noch immer genauso geschlaucht wie vorher, lehnte sich Porter an den Aktenschrank und griff nach dem Ordner »Drogen & Alkohol«. Beides wäre ihr jetzt mehr als willkommen.
So was wie Hoffnung durchzuckte Farrell, als der Wagen vor der Colindale-Wache vorfuhr. Während eines Großteils der Fahrt hatte er den Atem angehalten, und erst jetzt glaubte er, dass er das Schlimmste überstanden hatte.
Die Wache, die er vor einer Stunde so erleichtert verlassen hatte, erschien ihm nun als rettender Hafen.
Aber der Fahrer fuhr langsamer, kroch am Eingang vorbei
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