Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
weil er darum bettelte. Wer glaubte, den Helden spielen zu müssen für Geld, das Esso oder sonst wem gehörte, verdiente die Tritte. Das hier jedoch war anders. Dafür brauchte man keinen Mut. Hier hatte man nicht das Gefühl, sich sein Geld verdient zu haben. Das war etwas, wofür man sich schämte, ein Job für Weicheier und Wichser.
Vielleicht dachte er anders darüber, wenn sie beide irgendwo in der Sonne saßen und das Geld ausgaben. Vielleicht vergaß er dann, wie sie es bekommen hatten. Zumindest hoffte er das.
Amanda war in der Küche. Wahrscheinlich Toast mit Käse oder Baked Beans oder so. Sie redete immer davon, wie sie es sich gut gehen lassen würden, wie sie in Geld schwimmen würden. Clubs mit Türsteher und Fotografen vor der Tür. Er hatte sie gefragt, wann es ihrer Meinung nach so weit wäre, und ihr gesagt, wie sehr es ihm auf die Eier gehe, hier mit dem Finger im Arsch rumzusitzen. Sie hatte gemeint, es würde nicht mehr lange dauern. Es wäre so oder so bald vorbei. Das hörte sich in seinen Ohren gar nicht gut an. Er hatte zu dem Jungen hinübergesehen, der zusammengerollt in der Schlafzimmerecke lag. Nein, das klang verdammt bedrohlich …
Klar war alles seine Schuld. Gleich zu Anfang hatte er die Gelegenheit gehabt, »nein« zu sagen, es für eine bescheuerte Idee zu erklären. Er konnte es jetzt nicht alles Amanda in die Schuhe schieben. Aber es war ihm zutiefst zuwider.
Warten und nichts wissen.
Und sich wie ein kleiner Fisch fühlen.
Sechstes Kapitel
Von der blassgrünen Tapete war fast nichts mehr zu sehen. Überall Poster: das Team der Spurs von 1975 mit Steve Perryman mit dem Ball in der ersten Reihe; eine futuristische Roger-Dean-Landschaft, die Tennisspielerin, die der Kamera den Rücken zuwendet und sich an der entblößten Pobacke kratzt. In einem mit Ziegelsteinen gebauten Regal in der Zimmerecke stand eine Stereoanlage, auf der Plastikabdeckung waren die Doppelalben von Bowie und Deep Purple aufgestellt, mit den Lautsprechern als Stütze. Der alte Esstisch, der nach oben gewandert war und nun als Schreibtisch diente, war übersät mit Büchern und Zeitschriften: Musikzeitschriften wie Melody Maker und New Musical Express , Fußballzeitungen wie Shoot!, Der weiße Hai, Erinnerungen an die Zukunft, ein paar eselohrige Sven-Hassel-Taschenbücher. Ein Oben-ohne-Kalender und ein Dartboard von Woolworth an der Wand neben dem Fenster …
Thorne blinzelte und sah wieder auf die Wände, die neuer waren, glatt und blasslila.
Hier hingen Reproduktionen alter Landkarten, wunderschön beschriftete Bauzeichnungen, Poster von Ausstellungen im Victoria & Albert Museum und der Tate Modern, einige davon gerahmt, andere nur an die Wand geklebt. Dieses Jugendzimmer war völlig anders als sein altes Zimmer. Parsons hatte gestern recht gehabt: Luke Mullen war nicht der typische Sechzehnjährige.
Er trat zu dem Arbeitsplatz aus Metall und Glas und war überrascht, auf einem Papierstapel am Rand ein Arsenalheft liegen zu sehen. Neugierig und durchaus erleichtert, dass der Junge – wenn auch in der Wahl des Teams offensichtlich fehlgeleitet – zumindest eine Leidenschaft teilte, mit der Thorne sich identifizieren konnte, griff er danach, um darin zu blättern. Und festzustellen, dass es sich um ein Hausaufgabenheft handelte.
Auf der Glasscheibe war ein viereckiger Staubfleck an der Stelle, an der Lukes Laptop gestanden hatte. Die Kollegen von der Technik saßen noch an der Festplatte, suchten nach geheimen Dateien, die jeder, der sich damit auskannte, dort hätte verstecken können. Aber wie es aussah, gab es keine wichtige E-Mail-Korrespondenz und auch kein digitales Tagebuch, die darauf schließen ließen, dass Luke plante, von zu Hause wegzugehen. Er hatte sich nicht in Chatrooms aufgehalten und schien auch niemanden online kennengelernt zu haben.
Auch die Informationen über seine Handykontakte hatten sie nicht weitergebracht. Das Handy hatte er dabei, als er entführt wurde, daher war es nicht möglich gewesen, auf sein Adressbuch zuzugreifen. Aber sie hatten von der Telefongesellschaft die Unterlagen über die getätigten Anrufe und SMS-Nachrichten erhalten, bislang allerdings ohne heiße Spur. Am häufigsten hatte Luke mit seiner Schwester telefoniert.
Thorne starrte die Staubschicht an, die viereckige Form, die zeigte, was fehlte. Und merkte plötzlich, dass er den Atem anhielt. Er stellte sich vor, wie das angespannte Gehirn des Jungen raste, gegen die Droge ankämpfte, die ihre
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