Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders

Titel: Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
Vom Netzwerk:
Wirkung entfaltete, wie ihm die Augenlider zufielen und ihm die Gedanken entglitten. Tintenschwarzer Morast ihn umfing …
    Er zog den Jackenärmel vor, griff danach und hielt ihn zwischen den Fingern und dem Daumenballen fest, um damit den Staub von der Glasscheibe zu wischen.
    »Hier werden Sie ihn nicht finden.«
    Thorne wandte sich um. Juliet Mullen stand in der Tür. Er strich sich den grauen Staub vom Ärmel. »Ganz im Gegenteil, ich habe eine Menge von ihm gefunden.«
    Das Mädchen verdrehte die Augen und ging an ihm vorbei ins Zimmer. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie nicht im Geringsten beeindruckt war und keine Lust hatte, etwas so Ödes wie ein abstraktes Konzept zu diskutieren. Sie lehnte sich an die Wand und glitt langsam daran nach unten, bis sie auf dem grauen Teppich saß. »Also …?«
    Thorne ließ die Augen durchs Zimmer schweifen und sah zu Juliet. »Luke war auf alle Fälle sehr ordentlich.«
    »Ihnen entgeht nichts, oder?«
    »Ich bin ein Detective.«
    »Können Sie das beweisen?«
    »Ich hab die Prüfungen bestanden.«
    »Die müssen die Anforderungen gesenkt haben.«
    Sie lächelte zwar nicht, aber Thorne spürte hinter der aufgesetzten Maske von Langeweile und Frustration, dass sie den Schlagabtausch genoss und es ihr schwerfiel, nicht zu lachen. Sie hatte lange Haare, die so schwarz waren wie das Make-up, das ihre Augen einrahmte, und das Kapuzentop, das sie über der Baggy Jeans trug. Skateboardeschick nennt man das wohl, dachte Thorne, oder Grunge. Er überlegte, ob er sie fragen sollte, verwarf die Idee dann aber.
    »Was war auf dem Video?«, fragte sie plötzlich.
    Thorne wusste nicht gleich, wovon sie redete. Und ob er die Frage beantworten sollte. Er entschied sich dagegen.
    »Mum und Dad haben es sich heute Vormittag angesehen, bevor sie Porter anriefen. Nur einmal, glaub ich, das hat gereicht. Klar hab ich es nicht sehen dürfen. Und sie haben mir auch nichts drüber erzählt, also …«
    »Also …?«
    »Also … hab ich gedacht, es könnte nicht schaden zu fragen.«
    Thorne sah ihr zu, wie sie die Knie anzog und in der Ecke verschwand. Er musste unwillkürlich an den gestrigen Abend mit Phil Hendricks denken. Heute wie gestern sah er den Schmerz und die Sehnsucht hinter der zur Schau gestellten Pose, die rohe Wut hinter der hingeworfenen Bemerkung. Was sprach dagegen, es ihr zu sagen?
    »Es war Luke. Ein Video mit Luke.«
    Sie nickte rasch, als habe sie es bereits gewusst und nur die Bestätigung gebraucht. In diesem Moment wirkte sie reif und selbstsicher, aber im nächsten Moment zitterte ihr Mund, und sie war wieder ein Kind. »Was hat er gesagt? Hat er was gesagt?«
    »Juliet, ich kann nicht …«
    »Die beiden haben danach geweint. Sie wollten, dass ich es nicht merke, was natürlich ziemlich daneben war, wenn Sie mich fragen. Ich meine, ich weiß, worum es da ging, verstehen Sie mich? Ich hab nicht gedacht, dass sie sich um neun Uhr morgens einen Porno anschauen.«
    »Sie wollten, dass du dich nicht aufregst«, sagte Thorne.
    »Genau, fantastisch. Und jetzt kann ich an nichts anderes mehr denken, als was wohl auf dem Band zu sehen gewesen sein könnte. Was die Typen, in deren Gewalt sich Luke befindet, ihm angetan haben könnten. Welche Schmerzen er aushalten muss.«
    »Es geht ihm gut. Ehrlich.«
    »Definieren Sie ›gut‹.«
    Thorne holte tief Luft.
    »›Gut‹ wie in: eine Wahnsinnszeit haben?« Sie begann, am Teppich zu zupfen. »Oder ›gut‹ wie in: Er atmet noch?«
    Es war eine der schwersten Fragen, denen sich Thorne seit langem hatte stellen müssen. »Niemand fügt ihm Schmerzen zu.«
    Ihr Kopf sank auf die Knie. Als sie ihn fünfzehn, zwanzig Sekunden später wieder hob, begann der Kajal zu verlaufen. »Er ist ein gutes Jahr älter als ich, aber manchmal ist es, als wär ich seine große Schwester.« Ihre Augen glitten über das Zimmer, als suche sie nach einem Beweis dafür. »Irgendwie muss ich mich immer um ihn kümmern. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Thorne ging zu ihr, setzte sich auf die Bettkante. Das Bett war dunkelblau bezogen und ordentlich gemacht. Wahrscheinlich hatte Luke es selbst gemacht, bevor er am Freitag in die Schule aufbrach. »Ja, ich glaube, ich verstehe«, sagte er.
    Sie schniefte kurz. »Eine solche Scheiße …«
    Das Schweigen, das sich anschloss, war wohl für das Mädchen unangenehmer als für Thorne. Es dauerte keine halbe Minute, bevor sie sich aufrappelte. »Gut …« Als gäbe es eine Menge, mit der sie fertig werden

Weitere Kostenlose Bücher