Tom Thorne 07 - Das Blut der Opfer
Neil-Diamond-Song im Ohr, den er von Minute zu Minute weniger mochte. Er konnte sie kaum verstehen, als sie abhob.
»Was zum Teufel ist das?«
Louise musste lauter sprechen, um das Gegenteil von easy listening , das im Hintergrund lief, zu übertönen. »Eine Thrash-Metal-CD, die Phil mitgebracht hat.«
»Okay …«
Hendricks war noch da.
Thorne hörte, wie Louise Hendricks zubrüllte, er solle die Musik leiser stellen und wie diese ein paar Sekunden später ausgeschaltet wurde. Als Louise ans Telefon zurückkam, flüsterte sie fast.
»Er ist übrigens ganz seltsam drauf.«
Also hatte Hendricks ihr Gespräch nicht erwähnt. Wahrscheinlich keine schlechte Idee. Thorne spielte kurz mit dem Gedanken, ihr von der Nachricht zu erzählen, von Hendricks’ Weigerung, sie ernst zu nehmen, entschied sich dann aber dagegen. Sie würde dieselbe Frage stellen, die Hendricks gestellt hatte - was Brigstocke dazu meinte. Ein Thema, über das Thorne lieber nicht redete. Er hätte ihr natürlich sagen können, dass er kommissarischer DCI war, aber den Mund zu halten schien ihm noch immer besser, als sie mehr oder weniger in die Irre zu führen. Also sagte er nichts.
Es dachten sowieso schon genug Leute schlecht von ihm.
»Wie war der Tag?«, fragte Louise ausdruckslos.
»Wie immer. So gut man morgens drauf ist. Nach dem Frühstück geht’s bergab.«
»Du musst gerädert sein«, sagte sie. »Sorry …«
»Ist schon gut.« Er hörte Hendricks im Hintergrund rufen und erzählte ihr von der Nachricht, die ihm Hendricks vormittags geschickt hatte.
»Wirklich? Er hat es mit keinem Wort erwähnt.«
Das war nicht gerade eine Überraschung. Schon als er ihr von Hendricks’ Du-bist-der-Beste- SMS erzählte, kam er um den Gedanken nicht herum, dass das für die nächste Zeit wohl der letzte Witz von dieser Seite gewesen war.
»Das ist witzig«, sagte sie. »Stimmt zwar nicht, ist aber witzig.«
Thorne war erleichtert, sie lachen zu hören.
»Bis wann kannst du vorbeikommen?«
»Sollte nicht zu spät werden. Acht, halb acht.«
»Vielleicht schaffen wir es endlich, uns diesen Film anzusehen. Samstags gibt’s meist eine Spätvorstellung.«
»Oder wir drei könnten etwas gemeinsam machen«, sagte Thorne. »Wär vielleicht einfacher, wir besorgen uns die DVD.«
»Okay«, sagte Louise kühl.
»Morgen bin ich den ganzen Tag ausgebucht.«
»Ja, ist recht. Wie auch immer.«
Thorne vermutete, dass »wie auch immer« so viel bedeutete wie »nie und nimmer«. Dass Louise darauf gesetzt hatte, den Abend allein mit ihm zu verbringen. Aber er schaffte es nicht, diesen Videoclip zu vergessen. Vielleicht hätte er es ihr einfach sagen sollen, denn spätestens als er aufgelegt hatte, war ihm klar, dass Louise so oder so schlecht von ihm dachte.
Er war auf dem Weg zur Tür, als ihn die Panik packte …
Er eilte durch die Einsatzzentrale und dachte darüber nach, wie er bei Louise punkten konnte, schlüpfte in seine Jacke und wünschte allen, die er bis Montag nicht sehen würde, fröhlich ein schönes Wochenende. Er kam am weißen Brett vorbei und sah die Fotos, die Leichen der beiden ersten Opfer. Tucker und Hodson.
Totes weißes Fleisch und bunte Tinte.
Zwei Gedanken, Gesprächsfragmente, kamen in seinem Kopf zusammen - prallten aufeinander - und setzten die Räder in Bewegung.
Der müde Witz, den Bannard darüber gemacht hatte, dass alle Biker gleich aussähen: langhaarig und von oben bis unten tätowiert. Und etwas, das Hendricks bei Tuckers Autopsie gesagt hatte, bei der sie zusammen zugesehen hatten …
Thorne ging zurück in sein Büro, machte die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen. Er hoffte, das war nur ein Anfall von Lagerkoller. Er rief auf seinem Prepaid in Louise’ Wohnung an, dann auf Hendricks’ Handy.
Nirgends ging einer ran.
Er dachte nach, atmete tief durch und wählte eine andere Nummer.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Als er den Hörer auflegte, war alles so klar, wie es nur sein konnte. Aber Brooks war nicht glücklich. Es behagte ihm nicht, andere Menschen mit hineinzuziehen, sich auf andere verlassen zu müssen. Von Rechts wegen hätte jeder ihm gehören müssen.
So arbeitete er nicht.
Er saß auf dem weichen Bett in Tindalls Gästezimmer und betrachtete sein Spiegelbild in dem Spiegel über der Kommode gegenüber.
Schon unglaublich, wie beschissen er aussah.
So arbeitete er nicht.
Und dabei ging es nicht darum, wie er einen Koffer packte oder Auto fuhr. An so was hatte er noch nie einen
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