Tom Thorne 07 - Das Blut der Opfer
…
Thorne mochte Richard Rawlings nicht besonders, und über den Weg traute er ihm noch weniger. Aber er war ganz froh, unverbindlich geblieben zu sein, um mehr über Nunns Ansicht zu erfahren. Plötzlich jedoch schien es ihm zwecklos, noch länger um den heißen Brei herumzureden. Vor allem, da er es mit einem Experten zu tun hatte. »Nachdem Skinner ermordet worden war, hab ich Sie gefragt, ob Sie enttäuscht seien, weil Sie ihn nicht mehr drankriegen können, erinnern Sie sich?«
»Sie fragten, ob ich mich ›betrogen fühle‹«, verbesserte ihn Nunn. »Und ich sagte, ja.«
Thorne hätte gerne gewusst, ob Nunn so ein gutes Gedächtnis oder ein Aufnahmegerät hatte. Aber wahrscheinlich neigte er inzwischen zu Verfolgungswahn. »›Betrogen‹, weil Ihnen damit eine Gelegenheit entgangen war, einen korrupten Bullen aus dem Verkehr zu ziehen? Oder zwei?«
»Zwei sind immer besser als einer. Immer. «
»Also entweder wissen Sie, wer der andere Bulle ist, und Sie hofften, von Skinner die nötigen Beweise zu kriegen. Oder Sie setzten darauf, dass Skinner Ihnen verrät, wer sein Partner war.«
»Spielt ja jetzt, wo er tot ist, nicht wirklich eine Rolle.«
»Was trifft zu?«
Virtuelles Poker war für Leute wie Thorne, deren Gesicht wie ein offenes Buch zu lesen war, absolut von Vorteil. Sie konnten es voller Schadenfreude genießen, wenn ihre verdeckten Karten aufgedeckt wurden und niemand wusste, dass sie die Asse hatten. Thorne sah zu Nunn, suchte nach einem verräterischen Zeichen. Sah, wie er im Rhythmus zu dem Song nickte, und kam zu dem Schluss, dass der Mann vom DPS wahrscheinlich der weitaus bessere Pokerspieler war.
»Hören Sie, wir wissen beide, was dieser Mann getan hat«, sagte Thorne. »›Squire‹.« Das Wort brachte eine Reaktion. Es war das erste Mal, dass der Name zwischen ihnen fiel. »Wir wollen ihn beide im Knast sehen, aber ich habe den Eindruck, als ob einer von uns glaubt, das sei eine Art Wettbewerb.«
»Sie irren sich.«
»Tu ich das? So wie die Sache läuft, erfahren wir erst, wer dieser Dreckskerl ist, wenn wir ihn mit eingeschlagenem Schädel auffinden.«
Nunn wirkte plötzlich erschrocken. »Das wird nicht passieren.« Es klang so, als wüsste er etwas.
»Ist es Rawlings?« Nichts. »Weiß Rawlings Bescheid?«
Thorne seufzte lange und tief, um sofort Luft zu holen, als Nunn sich zu ihm umdrehte.
»Einer von uns glaubt also, das sei ein Wettbewerb«, sagte Nunn. »Und ich vermute, nur einer von uns ist völlig ehrlich und quasselt ständig davon, dass er der Einzige ist, der nicht mit gezinkten Karten spielt und nichts für sich behält …«
Sosehr er sich auch Mühe gab, Thorne spürte, wie er errötete. Wenn Nunn wusste, dass er insgeheim mit Marcus Brooks Kontakt hatte, dann war Thorne erledigt, Akte hin oder her. Er fühlte sich so in die Ecke gedrängt, wie Rawlings es geschildert hatte. Wie Brigstocke sich vermutlich fühlte, was immer man ihm vorwarf. »Eigentlich ganz klar, warum ihr Typen so unbeliebt seid.«
Nunn grinste, als wäre von jemandem in der Defensive keine andere Antwort zu erwarten. Als bekäme er derlei ständig zu hören. »Sie finden, das lohnt sich nicht? Die Scheiße wegspülen?«
»Dabei wird doch nicht nur die Scheiße weggespült, oder?«
»Ich mach den Job nicht, weil es mir so gut gefällt, wie den Leuten die Kinnlade nach unten saust, wenn sie hören, für welche Abteilung ich arbeite. Ich bin auch nicht begeistert davon, ständig als Ratte und noch Schlimmeres bezeichnet zu werden, oder davon, dass jedes Gespräch verstummt, wenn ich die Kantine betrete. Glauben Sie allen Ernstes, ich würde diesen Job machen, wenn ich ihn nicht für wichtig hielte?«
Vor ein paar Tagen, im Zug, hatte Thorne gedacht, er hätte eine Art Verletzlichkeit gespürt, die nicht ganz verdeckt wurde von dem langen Mantel und dem kahl rasierten Schädel. Nun hatte er wieder das Gefühl, in diesem Ausbruch einen Blick auf eine Schwäche zu erhaschen, doch noch bevor er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, war es vorbei.
Jetzt sang Neil Diamond »Beautiful Noise«. Thorne konnte nicht anders, er liebte diesen Song. »Falls Sie auch nur eine Ahnung davon haben, was ich denke«, sagte er, »würde ich mich freuen, wenn Sie es mir sagen würden. Weil ich im Augenblick nicht die geringste Ahnung habe.«
Nunn beugte sich vor und drehte das Radio lauter. Anscheinend war ihr Gespräch beendet.
Als er nachmittags Louise anrief, hatte er noch immer den
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