Tom Thorne 07 - Das Blut der Opfer
Teil
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Dreißigstes Kapitel
Er hatte schon ruhigere Sonntagmorgen erlebt.
Nachdem er als Erster aufgestanden war und eine Weile ferngesehen hatte, fand Thorne, er könne genauso gut zu Holland hinüberfahren, um sein Auto abzuholen. Er nahm eine Zeitung für die U-Bahn-Fahrt nach Elephant and Castle mit. Blätterte sie durch in der Hoffnung, dass Klatsch, Tore oder Selbstmordanschläge ihn von seiner eigenen Misere ablenkten.
Vom beruflichen Regen in die häusliche Traufe.
Während er sich in den Schwulen-Clubs herumtrieb, hatte eine Schießerei in Tottenham zwei Opfer gefordert. Der Sozialbau, in dem zwei junge Schwarze den Tod fanden, galt schon lange als gefährliche Gegend und würde jetzt bestimmt nicht zum Touristenmagneten werden.
Die U-Bahn in Pimlico war fast leer, aber jetzt war er in Stockwell in einen vollen Wagen der Northern Line umgestiegen, in dem er die Zeitung kaum lesen konnte, ohne seine Nachbarn mit den Ellbogen zu malträtieren.
Er überflog noch einmal die Story auf der Titelseite.
Eine brutale Angelegenheit. Und dazu einfach. Mit ziemlicher Sicherheit eine Drogensache. Beim Lesen merkte er, wie sehr er sich nach einem stinknormalen Fall ohne schwierige Entscheidungen sehnte. Er wollte diesen Fall hinter sich haben. Es hatte Fälle gegeben, nicht viele, die Spuren hinterließen, innen wie außen, aber er konnte sich an keinen erinnern, bei dem er sich dermaßen ausgeliefert gefühlt hatte.
Er hatte keine Ahnung, was aus diesem Fall - und ihm - werden würde.
Er blickte von der Zeitung auf und ertappte den Mann ihm gegenüber dabei, wie er ihn anstarrte und schnell nach oben zu den Anzeigen über seinem Kopf sah, um sich dann wieder dem Taschenbuch auf seinen Knien zuzuwenden.
In der U-Bahn starrte jeder jeden an. Es war egal, auf welcher Seite man saß. Man wusste nie, was als Nächstes passierte.
Hollands Freundin Sophie warf Thorne die Autoschlüssel zwar nicht an den Kopf, als sie ihm die Tür aufmachte, aber ihrem Blick nach zu urteilen, hätte sie dies nur zu gern getan. Thorne begrüßte sie und entschuldigte sich zugleich, bevor er in die Wohnung trat. Das war die herzlichste Begrüßung, die er heute erwarten durfte.
»Ich wollte gerade einkaufen gehen«, sagte Sophie, als sie ins Wohnzimmer traten. »Soll ich dir was mitbringen?«
Holland sah vom Sofa auf. Er schien nicht mehr Schlaf abbekommen zu haben als Thorne. Er schüttelte den Kopf. Ihm war wie Thorne klar, dass Sophie nur die Zeit totschlug, bis sie sicher war, dass Thorne wieder gegangen war. Vor einiger Zeit hatte Thorne sich überlegt, ob er sie nicht anrufen sollte. Vielleicht sogar bei ihr vorbeischauen, wenn Holland nicht da war, um die Dinge zu klären, die zwischen ihnen standen. Aber er hatte nichts dergleichen getan, und nun war alles ziemlich in Stein gemeißelt.
»Kannst du Kidneybohnen mitbringen? Dann könnte ich uns später ein Chili machen«, sagte Holland.
Als sie weg war, setzte Holland Teewasser auf.
»Danke wegen gestern«, sagte Thorne.
»Ist auch nötig, das Auto ist ein Alptraum.«
»Ich meine nicht das Auto.«
Holland sah ihn durch den von seiner Tasse aufsteigenden Dampf an. »Was war los?«
Thorne brachte ihn aufs Laufende, erzählte ihm alles ab dem Zeitpunkt, ab dem er ihn im Regen beim BMW zurückgelassen hatte, bis dahin, als er in Louise’ Wohnung ankam und den Kopf gewaschen bekam. Ein Punkt, den er allerdings wegließ. Holland grinste und erinnerte ihn daran, wie er das Mikrofon im Beware an sich gerissen und zu brüllen angefangen hatte. »Sie sind einfach ein Naturtalent«, sagte er. »Sie brauchen nur noch eine Baseballmütze …«
Thorne lachte, was er schon lange nicht mehr getan hatte.
»Sie könnten immer noch zu Brigstocke gehen«, meinte Holland.
»Nein …«
»Ich hab darüber nachgedacht.« Thorne schüttelte bereits den Kopf, aber Holland ließ nicht locker. »Sie könnten eine weitere Umleitung einrichten, von dem Prepaid-Handy, auf dem Sie mit Brooks telefonieren, zurück zu Ihrem alten Handy. Werfen Sie das Prepaid-Handy weg, und niemand erfährt von den Anrufen. Damit hieße es Ihr Wort gegen das von Brooks, falls es tatsächlich so weit käme.«
»Das läuft nicht.«
»Dann machen Sie einfach reinen Tisch. Der Guv ist doch Ihr Freund, oder?«
»Der sitzt selbst schon tief genug in der Scheiße. Egal, worum es dabei geht, falls er da heil rauskommt, macht der sich die Hände nicht so schnell wieder dreckig.« Holland dachte
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