Tom Thorne 07 - Das Blut der Opfer
offensichtlich über einen anderen Ausweg nach. »Zerbrechen Sie sich deshalb nicht den Kopf, Dave.«
Hollands Tochter Chloe kam mit einer Hand voller Buntstifte aus dem Zimmer nebenan. Sie sah aus wie eine kleinere Ausgabe von Sophie. Thorne hatte ihr die ersten Jahre ein Geburtstagsgeschenk gekauft, den letzten Geburtstag vor ein paar Monaten jedoch vergessen.
»Wie heißt du?«, fragte sie.
»Das ist Tom«, sagte Holland. »Er hat uns schon mal besucht.«
Chloe war bereits weitermarschiert. Sie setzte sich auf den Boden und schnappte sich einen Malblock von einem Beistelltisch. Thorne und Holland tranken ihren Tee und sahen ihr zu, wie sie voller Konzentration mit geschürzten Lippen malte. Thorne fragte sie, was sie male.
»Den Himmel«, sagte sie.
Schön einfach.
»Denkt ihr noch darüber nach, aus London wegzuziehen?«, fragte Thorne.
Holland hob die Arme, ließ den Blick durch die Wohnung schweifen. »Wir müssen hier raus«, sagte er.
Die im ersten Stock gelegene Wohnung war schon immer eng und vollgestellt gewesen. Doch jetzt, mit dem auf dem Boden verstreuten Spielzeug und dem Buggy im Gang, sah Thorne ein, dass Holland und seine Familie mehr Platz brauchten. Dennoch fragte er sich, ob ein Umzug der erste Schritt zu Hollands Ausstieg aus dem Polizeidienst war. Er wusste, dass seine Freundin ihn drängte, sich woanders umzusehen.
»Ich hab das Gefühl, Sophie möchte wieder arbeiten«, sagte Holland. Er zuckte die Schultern. »Im Augenblick ist noch alles offen.«
Thorne wusste nicht mehr, was Sophie vor der Geburt Chloes gemacht hatte. Er wollte auch nicht fragen. »Wär gut, wenn ihr nicht zu weit rauszieht«, sagte er.
Chloe brachte den Malblock herüber, um das Bild ihrem Vater zu zeigen. Thorne fand es schön, wie Holland seiner Tochter über den Kopf strich, wie selbstverständlich die Kleine ihm den Arm um den Hals legte, als sie sich zusammen das Bild ansahen.
Er empfand Neid.
»Jetzt zeichne ich einen Hai«, sagte sie. »Und wie ich ihn umbringe.« Wieder kritzelte sie ein paar Minuten, bevor sie einen kleinen Plastikstuhl zum Fernseher zog und mit der Fernbedienung darauf Platz nahm.
Als Holland aufstand, um die Schlüssel für den BMW zu holen, sagte er: »Wie klang Brooks bei dem Gespräch?«
Thorne dachte an die erschöpfte Stimme, aber das hatte Holland nicht gemeint. »Als ob ihm alles egal wäre.«
»Dass er geschnappt werden könnte?«
»Alles.«
»Das ist keine gute Nachricht.«
»Für jemanden da draußen«, ergänzte Thorne.
Als Thorne zurückkam, lag Louise noch immer im Bett. Und als sie endlich kurz vor elf aufstand, hatten sie kaum ein paar Worte gewechselt. Hatte er gut auf dem Sofa geschlafen? Wunderbar. Hatte er Lust auf ein großes Frühstück? Klingt phantastisch, wenn es nicht zu viele Umstände macht. Sie nahm ihre Teetasse mit zurück ins Schlafzimmer und tauchte fünfzehn Minuten später voll angezogen auf. Und erklärte, sie wolle schnell ein paar Sachen einkaufen gehen.
»Ich hätte auf dem Weg zu Dave etwas einkaufen können«, rief ihr Thorne nach.
Louise schloss die Tür. Er wusste nicht, ob sie ihn gehört hatte.
Als Hendricks kurz darauf aus dem Gästezimmer auftauchte, trug er Thornes alten Morgenrock und brummelte etwas darüber, wie gut der Frühstücksspeck roch. Thorne stellte erleichtert fest, dass er etwas belämmert dreinsah. Hendricks griff nach einer der Boulevardzeitungen und versteckte sich dahinter. Aber als Louise nach ihm rief, nahm er sie mit in die Küche.
Thorne hörte die beiden flüstern, während er vergeblich versuchte, den Bericht über das torlose Unentschieden der Spurs in Manchester City zu lesen. Nach zehn Minuten fragte er Louise, ob sie Hilfe brauche.
»Wir kommen bestens zurecht«, antwortete sie.
Speck, Würstchen, Eier und Bohnen, Toast und frisch gebrühter Kaffee. Die Sonne tauchte den Tisch in warmes Licht, und ein unverfänglicher Song drang aus dem Küchenradio. Thorne war als Erster fertig und sah Louise und Hendricks beim Frühstücken zu, lauschte ihrem Small Talk.
Sosehr er sich auch bemühte, er konnte einfach nicht den Mund halten. »Anscheinend seid ihr beide der Meinung, ihr hättet das Recht, sauer auf mich zu sein.«
Sie sahen auf, als sähen sie ihn erst jetzt. »Und was denkst du ?«, fragte Louise.
Thorne hatte den Großteil der Nacht wach gelegen und darüber nachgegrübelt, wie wenig gefehlt hatte, dass er seinen engsten Freund verloren hätte. Andererseits hatte er ihn vielleicht
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