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Tom Thorne 07 - Das Blut der Opfer

Titel: Tom Thorne 07 - Das Blut der Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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sehen konnte. Und sie sahen, dass das Auto nicht halten würde.
    Ob auf der Straße wohl Bremsspuren zu erkennen waren? Ob Blutflecken von der Fahrbahn geschrubbt werden mussten? »Wahrscheinlich Hooligans«, hatte der Bulle bemerkt, als sie ihm die Nachricht überbrachten. Er erinnerte sich an den Mann mit dem schmutzigen Kragen, der schwer atmend gesagt hatte: »Aber wir haben Lackspuren.«
    Er hatte ihre Leichen nicht gesehen.
    Damals war er erleichtert gewesen. Er war sich nicht sicher, ob er es ausgehalten hätte, sie so zu sehen. Jetzt, hier in der Kälte, ein paar Meter von der Stelle entfernt, wo es passiert war, wünschte er, er hätte sie tot gesehen. Er hätte die Augen geschlossen und sie geküsst. Etwas gesagt.
    Eine Frau trat neben ihn und drückte auf den Ampelschalter, erzählte, im Wetterbericht habe es geheißen, man erwarte Schnee. Als die Ampel auf Grün sprang, ging sie los. Drüben angekommen, wandte sie sich zu ihm um.
    Bei der Beerdigung hatte er keine Gelegenheit gehabt, Abschied zu nehmen, nicht wirklich. Er schwitzte in dem geliehenen Anzug, vermied es, jemandem in die Augen zu sehen, und verdrückte sich, wenn getuschelt wurde. Saß zusammen mit den Cousins und Onkeln im Auto, Verwandte, für die Angie nie Zeit gehabt hatte. Der Pfarrer hatte gesagt: »Gott schenke euch ein erfülltes Leben«, als er pflichtschuldig die vor ihren Särgen aufgestellte Ikone küsste, auf jeden der verzierten Särge eine gepflegte Hand legte und hinzufügte: »Und möge ihr Andenken ewig währen.«
    Ein paar Minuten später verschwanden die Särge wie bei einem Zaubertrick. Und er konnte es noch immer nicht fassen, dass Angie und Robbie sich darin befanden.
    Angies Eltern hatten sich die ganze Zeit geweigert, mit ihm zu sprechen.
    Wieder hupte ein Auto, und diesmal reagierte Brooks. Er trat auf die Straße, blieb stehen und wandte sich zu der Fahrerin, die ihm ins Gesicht starrte wie einem Verrückten. Die Frau hinter dem Steuer hob die Hand und überprüfte, ob die Tür verschlossen war.
    Brooks überquerte die Straße und lief weiter, ohne sich umzusehen. Es gab hier nichts für ihn zu sehen.
    Nichts von ihnen.
    Er bog in die Seitenstraße ein, in der der Mondeo geparkt war. Dachte über die schnellste Vorgehensweise nach. Wenn er Glück hatte, dann hätte er bis zum Abend ein neues Foto. Vielleicht sogar ein Video.
    Dann konnte er Tom Thorne erlösen.
     
    … Und sag Robbie, dass er es beweisen muss! Ich will sehen, dass er so gut ist, wie er immer erzählt, wenn er mich besucht. Sobald ich daheim bin, gehen wir rüber in den Park, und ich schau mir das an. Ich will sehen, wie er mit beiden Füßen schießt. Das muss er können, wenn er zum Probetraining bei West Ham will, wie er immer sagt. Und ich nehm ihn mit zu ein paar Spielen, sag ihm das.
    Mein Gott, ich kann’s kaum noch erwarten …
    Wenn ich davon spreche, »sobald ich daheim bin«, dann gibt es natürlich noch ein, zwei andere Dinge, die ich zuerst tun möchte, wenn du mich verstehst! Zwischen Bett und Hausmannskost wünsch ich mir die erste Woche nur eines, von Rob nach draußen gezogen zu werden.
    Fünfzehn beschissene Tage, mein Engel, das ist alles.
    Wahrscheinlich dreizehn, bis du diesen Brief hast. Das ist nichts. Das ist weniger als ein normaler Urlaub. Nur blöd, dass es sich zehnmal so lang anfühlt. Das ist der schwerste Teil, am Schluss, das weiß jeder. Wenn ein Haufen Typen hier anfangen durchzudrehen …
    Apropos Urlaub, wir sollten wegfahren. So bald wie möglich. Wohin würdest du gerne fahren? Irgendwohin, wo’s warm ist, mit einem riesigen Pool? Such doch schon mal was aus! Ich weiß nur nicht, wann Robbie schulfrei hat.
    Ehrlich gesagt ist es mir ganz egal, wo wir hinfahren.
    Also mach du. Ab jetzt ist für mich alles nur noch Urlaub …
     
    Thorne legte die Fotokopie zurück auf den Tisch. Der Brief, der nie abgeschickt wurde, der vor dem Tag geschrieben wurde, an dem Marcus Brooks die Todesnachricht erhielt.
    Er ging hinüber zum Computer. Das Spiel lief noch immer, aber er war vor einer halben Stunde ausgestiegen. Er hatte sich eingeloggt, als er in die Wohnung kam, in der Hoffnung, dass es ihn etwas ablenken würde. Aber dafür brauchte es mehr als Poker. Er sah fünf Minuten zu und setzte sich wieder.
    Ausnahmsweise konnte nicht einmal Johnny Cash helfen: »I See a Darkness«, der Song, den man Cash kurz vor seinem Tod noch abringen konnte, in dem er mit einer sich schon in Auflösung begriffenen Stimme einen Freund

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