Tom Thorne 07 - Das Blut der Opfer
Wohnblocks aus den Sechzigern. Ein alter Mann, Mitte siebzig. Als er eines Nachmittags in seine Wohnung kam, war da eine Gang Jugendlicher. In der Wohnung war nichts zu holen, also schlugen sie alles zu Kleinholz. Und als der Alte auftauchte, ließen sie ihre Wut an ihm aus.«
»Hast du sie gekriegt?«
Thorne schüttelte langsam den Kopf. Er legte die Stirn in Falten und versuchte sich zu erinnern. »Auf der Tapete waren Hunde … braune Hunde auf grünem Hintergrund. Und er hatte eine Kartensammlung aus Teepackungen. Hunderte von Karten, mit alten Fußball- und Kricketspielern. Tom Finney und W. G. Grace. Mein Kollege und ich sammelten sie vom Teppich auf, während wir auf den Krankenwagen warteten.« Er zog die Knie unter der Bettdecke an, unter der sie lagen. »Sie hatten ihm das Gesicht eingeschlagen, sah ziemlich übel aus. Und den Arm und zwei oder drei Rippen gebrochen. Hätte schlimmer sein können, aber er lag ein paar Wochen im Krankenhaus.«
Er sah zu Louise. Sie wartete, sie wusste, da war noch mehr.
»Na ja, einen Monat nach dem Einbruch wurden wir wieder zu der Adresse gerufen. Ich weiß noch, dass ich, als ich die Adresse sah, dachte, sie hätten den armen Teufel noch einmal in die Mangel genommen. Aber es waren die Nachbarn, die angerufen hatten. Und als wir hinkamen, mussten wir ihn vom Balkon holen. Er stand einfach da, gelähmt vor Angst. Versuchte den Mut aufzubringen hinunterzuspringen.
Wir holten ihn runter und machten ihm eine Tasse Tee et cetera, aber er war total durcheinander. Seit dem Überfall hatte er nicht mehr richtig geschlafen, nicht mehr ordentlich gegessen. Die Wohnung war das reinste Chaos, es stank, überall Hundescheiße …
Er war ein anderer Mensch, Lou. Klapperdürr und zu Tode erschrocken und ohne die Kraft weiterzumachen. Ohne Antrieb weiterzumachen. Er stand einfach in seinem Wohnzimmer mit seiner Schachtel Karten und schimpfte auf mich ein. Er wollte mich anbrüllen, aber seine Stimme war … gebrochen, verstehst du?«
Thorne brachte so was wie ein Lächeln zuwege. Doch seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Er wollte mir sagen, dass er, wenn er jünger wäre, ohne Probleme mit den kleinen Dreckskerlen fertig geworden wäre. Er hätte sich selbst verteidigen und seine Wohnung beschützen können. Jetzt war er machtlos. Er erklärte mir, er sei ein armer Teufel, weil er nicht einmal mehr Manns genug war, sich umzubringen. Er hörte gar nicht mehr auf, wie erbärmlich und nutzlos er war und wie sehr er sich wünschte, sie hätten ihn umgebracht. Und dabei schlug er die ganze Zeit mit seinem Gehstock auf einen zerschlissenen alten Sessel ein. Und bei jedem Hieb entstand eine Staubwolke. Er stand da, schlug mit dem Stock und heulte wie ein kleines Kind.«
»Was ist aus ihm geworden?«, fragte Louise.
»Soviel ich weiß, kam er in ein Pflegeheim.« Er atmete langsam aus. »Ich glaub nicht, dass er es noch lange gemacht hat.«
Louise rückte näher und legte den Kopf an Thornes Schulter.
»Ich kann mich nicht einmal mehr an seinen Scheißnamen erinnern«, sagte Thorne.
Zweiunddreißigstes Kapitel
»War am Samstag etwas, das ich wissen sollte?«, fragte Brigstocke.
»Nicht dass ich wüsste«, sagte Thorne.
»Gut.«
»Eigentlich nur die Kemal-Sache.«
»Schön, wenn die Woche mit einer guten Nachricht anfängt«, sagte Brigstocke.
Hakan Kemal war in den frühen Morgenstunden im Haus seines Cousins bei St. Paul’s in Bristol festgenommen und noch in der Nacht nach London gebracht worden. Während Thorne und Brigstocke informiert wurden, war Yvonne Kitson mit ihrem Hauptverdächtigen bereits in die erste Runde gegangen, im Verhörraum in Colindale.
»Und wie war Ihr freier Tag?«
Die Fragen wurden nicht einfacher. »Ein typischer beschissener Sonntag«, sagte Thorne.
Er konnte sich an keinen Montagmorgen erinnern, an dem er sich so auf die Arbeit gefreut hatte. Selbst der graue Himmel über der Stadt konnte seinen Enthusiasmus nicht dämpfen. Und es war schön, Brigstocke wiederzusehen. Es war nicht klar, ob seine Probleme sich komplett aufgelöst hatten, aber falls nicht, schienen sie ihm nicht mehr viel auszumachen.
Der DCI war am Multitasken, wenn auch nicht sonderlich geschickt: Er unterbrach das Gespräch, um Memos zu unterschreiben, machte sich Notizen auf kleine Zettel und begann wieder, Fragen und Kommentare abzufeuern, während er sich daran zu erinnern versuchte, was er eigentlich tun sollte. »Noch besser wäre, wenn wir in der Brooks-Sache
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